Caritas fordert schnelle Ausreise für minderjährige Flüchtlinge

"Barmherzigkeit, die nicht vollzogen wird"

In griechischen Flüchtlingslagern harren zahlreiche unbegleitete minderjährige Flüchtlingskinder aus. Deutsche Städte würden sie gerne aufnehmen, doch die Landesregierung grätscht dazwischen. Sehr zum Ärger von der Caritas. 

Diskussion über Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen / © Daniel Karmann (dpa)
Diskussion über Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen / © Daniel Karmann ( dpa )

DOMRADIO.DE: Aus Ihrer Sicht, wie dramatisch ist die Situation in den griechischen Flüchtlingslagern?

Dr. Frank Johannes Hensel (Direktor des Diözesancaritasverbandes im Erzbistum Köln und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW): Sie haben es ja auch schon beschrieben. Nicht nur nass, kalt und krank, sondern Kinder voller Angst und Unsicherheit, die auf den Inseln Chios, Lesbos, Samos, Leros und Kos sind. Zum Ende des Jahres waren es 1921 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das sind die gezählten. Es gibt ja auch noch begleitete minderjährige Flüchtlinge. Im Lager Moria auf Lespos, das nur für 2500 Menschen ausgelegt ist, leben 15000 Menschen und davon 5000 Kinder. Das sind unhaltbare Zustände und da muss dringend etwas getan werden.

DOMRADIO.DE: Wie stellen Sie sich das nun vor? Wie könnte man die Einreise dieser Flüchtlingskinder beschleunigen oder erreichen?

Hensel: Das ist ein humanitärer Akt, aber auf Ortsebene gibt es ja bereits Willige, die sich dafür ausgesprochen haben. Das sind Städte, die bereit wären die Kinder aufzunehmen, auch über ihre Kontingente hinaus. Dazu gehören Köln, Bonn, Düsseldorf, Münster, Dortmund, Recklinghausen, Viersen, Brilon, Arnsberg, Gütersloh und Bielefeld. Sie sehen, es gibt eine Menge politisch Verantwortliche auf kommunaler Ebene, die sich einsetzen möchten, aber sie werden tatsächlich von der nächsthöheren Ebene ausgebremst, die leider keine Einsicht hat und die Schotten dicht macht.

DOMRADIO.DE: Welche Herausforderungen kommen da auf uns oder möglicherweise auf Sie zu?

Hensel: Wir sind ja darin geübt mit versprengten Menschen aus dieser Welt umzugehen. Wir haben eine große Zivilgesellschaft und Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände, die sich dieser Problematik stellen. Unsere Aufnahmekapazität ist gar nicht das Problem, sondern zu erlauben und die Einreise der Kinder zu organisieren, sodass sie hier auf die Klärung ihres Aufenthaltsrechts warten können und nicht in einem solchen Lager.

DOMRADIO.DE: Kinder und Jugendliche, die vielleicht noch Angehörige in Deutschland haben könnten schneller einreisen. Was ist aber mit denen, die gar keine Angehörigen mehr haben?

Hensel: Ja, darum müssen wir uns kümmern. Wir haben viele, die bereit sind, eine Patenschaft zu übernehmen. Es gibt ja auch entsprechende Einrichtungen. Bei den Kindern, die Angehörige haben, ist es natürlich leichter. Es gibt ja auch Bundesländer, die schon entsprechende Signale gesetzt haben, zum Beispiel Niedersachsen. In Nordrheinwestfalen, wo sich 29 Städte für die Aufnahme der Kinder ausgesprochen haben, hält die Landesregierung dagegen. Wir werden sehen, wie wir damit umgehen: Individuell und im Einzelfall gerecht.

DOMRADIO.DE: Inwieweit wollen Sie da der Landesregierung entgegentreten?

Hensel: Das tun wir im Moment ja nur mit dieser öffentlichen An- und Aussprache. Es ist im Grunde ein Schulterschluss mit der Kommunalpolitik. Wir können kein Landes- und Bundesrecht beugen, aber es ist ein Akt von Gnade und Recht. Wenn der Wille groß genug wäre, wäre es auch möglich das zu organisieren. Leider wird immer wieder auf die große EU-Umverteilung hingewiesen, die rechtlich durch die EU-Gesetzgebung zwar begründet ist, aber tatsächlich ja seit Jahren durchbrochen wird.

DOMRADIO.DE: Was würden Sie tun, wenn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kurzfristig bei uns aufgenommen werden würden? Sie haben ja auch einen Beitrag der Wohlfahrtsverbände zugesagt.

Hensel: Wir würden die Möglichkeiten nutzen, die sich innerhalb der letzten Jahre der Flüchtlingsbewegung ergeben haben. Es gibt viele Menschen, die bereit sind, sich persönlich einzusetzen. Wir haben ja auch Einrichtungen, die eine Aufnahme gewährleisten können. Den Kindern würde es dort auf jeden Fall besser gehen als jetzt. Das ist wirklich ein humanitärer Akt.

DOMRADIO.DE: Warum denken Sie ist es wichtig jetzt schnell Verantwortung zu übernehmen?

Hensel: Im Grunde weil es unerträglich ist. Wir reden hier über westliche Werte und Menschlichkeit. Das ist ein Akt der Barmherzigkeit der möglich wäre, aber wegen hoher politischer Regelungsbedarfe nicht vollzogen wird. Diese Sache drängt und es Bedarf keiner langen Diskussionen mehr, denn es ist Winter.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Quelle:
DR