Pro Asyl entsetzt über Tote im LKW nahe London

Folge europäischer Abschottungspolitik

Ist eine Schlepperbande für die 39 Toten in einem LKW nahe London verantwortlich? Die Ursache für das Unglück liegt tiefer, meint Günter Burkhardt von Pro Asyl und sieht eine Mitschuld in der auch von der EU betriebenen Abschottungspolitik.

Mitarbeiter der britischen Spurensicherung / © Aaron Chown (dpa)
Mitarbeiter der britischen Spurensicherung / © Aaron Chown ( dpa )

DOMRADIO.DE: Es sprach ja alles dafür, dass wir es hier tatsächlich mit Menschen zu tun haben, die illegal nach Großbritannien einreisen wollten. Was weiß man jetzt?

Günter Burkhardt (Geschäftsführer und Mitbegründer von Pro Asyl): Es kann durchaus sein, dass sie illegal einreisen wollten. Die neuesten Meldungen besagen, die Menschen hätten die chinesische Staatsangehörigkeit. Es könnte sein, dass sie in Großbritannien arbeiten wollten. Es gibt ja kaum legale Wege in EU-Staaten, um dort zu arbeiten. Wir haben zudem keine legalen Wege für Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union. Das war auch gestern eine Vermutung, denn es gab bereits zuhauf Todesfälle, wenn Menschen nicht zu ihren Familienangehörigen durften.

Das ist durchaus auch eine sich abzeichnende Folge des Brexit - nicht in Bezug auf diesen Todesfall - aber es befinden sich circa 700 Kinder in Griechenland, die Angehörige in Großbritannien haben. Bei einem No-Deal-Brexit hätten sie keine Chance, legal nach Großbritannien zu kommen.

DOMRADIO.DE: Vermutet wurden auch noch Zusammenhänge mit dem Einmarsch des türkischen Militärs in Nordsyrien. Bestehen die Zusammenhänge nach dieser neuen Meldung noch?

Burkhardt: In dem Fall vermutlich nicht. Aber wir haben einen Komplettverfall der Menschenrechte in der Europäischen Union. Jedes Land schottet sich gegen Migration und Flucht ab.

Aktuell diskutieren wir, ob die Bundeswehr in Nordsyrien die Zone, die Erdogan erobert, militärisch so sichert, dass nach der Vertreibung der dort ansässigen kurdischen Bevölkerung Syrer dorthin zurückverteilt werden, die aus der Türkei kommen. In diesem Zusammenhag ist das Erstaunen groß, dass so ein Gedankenspiel schon am 18. März 2016 in dem EU-Türkei-Deal verabredet wurde. Denn damals haben die Bundeskanzlerin und die Staats- und Regierungschefs Erdogan zugesichert, dass man mit der Türkei bei Anstrengungen in bestimmten Zonen Syriens nahe der türkischen Grenze kooperiert, damit dort Flüchtlinge und die dort ansässige Bevölkerung in sicheren Zonen leben können. Sichere Zone steht wörtlich drin. Das heißt, was wir jetzt erleben, ist eine Folgedebatte dieses verhängnisvollen Deals vom März 2016, sodass Erdogan sagen kann: Ich löse jetzt den Scheck ein, den ihr Europäer mir ausgestellt habt.

DOMRADIO.DE: Jetzt treffen sich heute die Verteidigungsminister in Brüssel. Auch Syrien ist da ein Thema. Glauben Sie, dass auch der Todesfall von 39 Leichen in einem Lkw besprochen wird?

Burkhardt: Nein, das drängt man immer beiseite. Das sind immer die Kriminellen, die Schlepper - und das sind auch kriminelle Banden. Aber die Ursache, dass es keine legalen Wege für Migranten und Menschen, die vor Krieg, Folter und Verfolgung fliehen, gibt, wird weggedrückt und ausgeblendet. Stattdessen wird mit dem Finger auf diese kriminellen, menschenverachtenden Netzwerke gezeigt, die sie ja auch sind. Doch sie können nur deshalb ihr dreckiges, schmutziges Geschäft machen, weil die Staaten Europas sich abschotten und es keine legalen Wege gibt. Das wird dort garantiert nicht verhandelt werden.

Das Interview führte Verena Tröster.

 


Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl / © Christoph Schmidt (dpa)
Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl / © Christoph Schmidt ( dpa )
Quelle:
DR
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