Die "Cap Anamur" rettete vor 40 Jahren erstmals Boatpeople

Überlebenskampf im Chinesischen Meer

Immer wieder müssen sich derzeit Kapitäne rechtfertigen, wenn sie im Mittelmeer Flüchtlinge an Bord nehmen, statt sie ihrem Schicksal zu überlassen. Doch schon vor 40 Jahren sorgte Seenotrettung für Schlagzeilen.

Autor/in:
Birgitta Negel-Täuber
Rupert Neudeck (dpa)
Rupert Neudeck / ( dpa )

Humanitäre Großtat oder "Beihilfe zur illegalen Einwanderung"? Unter diesem Vorwurf ist Carola Rackete, die Kapitänin der "Sea Watch 3" angeklagt, weil sie ihr Schiff mit 40 Flüchtlingen an Bord in den Hafen von Lampedusa steuerte, trotz eines Verbots der Behörden. Ähnliche Diskussionen rund um die Seenotrettung gab es vor

40 Jahren auch schon. Damals war der Schauplatz das Chinesische Meer, und die Flüchtlinge kamen aus Vietnam. Am 13. August 1979 - nach anderer Lesart am 9. August - stach das Hospitalschiff "Cap Anamur" von Japan aus in See und nahm sechs Wochen später die ersten Boatpeope an Bord. So wurden damals Menschen genannt, die in viel zu kleinen und völlig überfüllten Booten ihr Heil in der Flucht über das Meer suchten.

Der Vietnamkrieg lag damals noch nicht lange zurück, die Rache der Nordvietnamesen am früheren Kriegsgegner nahm ihren Lauf.

Hinrichtungen, Mord, Vergewaltigung, willkürliche Einweisung in Umerziehungslager - viele Menschen versuchten deshalb, sichere Länder in der Region zu erreichen. Aber der Weg übers Meer war lang, bedroht von Monsunwinden und Piraten. Und erwünscht waren sie ohnehin nirgendwo.

Als es den Anrainerstaaten zuviel wurde, drängten sie die Boote zurück aufs offene Meer, die malaysische Regierung erließ sogar kurzzeitig einen Schießbefehl. Deutschland hielt sich anfangs sehr zurück, als es darum ging Flüchtlinge aufzunehmen. Das sei Ländersache, erklärte die Bundesregierung. Geschätzt 1,6 Millionen Vietnamesen machten sich bis Ende der 1980er Jahre auf den Weg, rund 250.000 fanden dabei den Tod.

Von der Tragödie im Chinesischen Meer hatte auch der Journalist Rupert Neudeck gehört, als er im Februar 1979 nach Paris reiste. Mit den Boatpeople hatte die Reise aber nicht das Geringste zu tun: Der promovierte Philosoph und frühere Jesuiten-Novize Neudeck plante ein Buch über Jean Paul Sartre und wollte deshalb ein Interview führen.

Lebensaufgabe für Rupert Neudeck

Aber dann lernte er den Philosophen Andre Glucksmann kennen. Der war damals schon engagiert in einer Organisation, die zum Vorbild für Rupert Neudeck wurde. Das "Comite un Bateau pour le Vietnam" (Komitee ein Schiff für Vietnam) hatte die "Ile de Lumiere" gechartert und rettete damit Bootsflüchtlinge. Neudeck traf sich mit anderen Mitgliedern dieses Komitees - und hatte seine Lebensaufgabe gefunden.

Neudeck suchte sich Mitstreiter und fand in Heinrich Böll einen Verbündeten von unschätzbarem Wert. Denn der Literaturnobelpreisträger galt als moralische Instanz. Über eine Veranstaltung, bei der Böll auftrat, würden die Medien breit berichten - und Medienpräsenz war das, was Neudeck brauchte. Parallel dazu baute er mit Freunden Organisation und Logistik auf, lernte, was es mit dem deutschen Vereinsrecht auf sich hat und wie wichtig die Steuerabzugsfähigkeit von Spenden ist. Vor allem aber reiste er selbst zum Chinesischen Meer.

Von Anfang an setzte der neugegründete Verein "Ein Schiff für Vietnam" auf die Zusammenarbeit mit den französischen Partnern und anderen, großen Hilfsorganisationen: Das Deutsche Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, Terre des Hommes - alle steuerten ihre jeweiligen Kompetenzen und Erfahrungen bei.

Letztlich war es aber die Macht der Bilder, die die Hilfsbereitschaft der Deutschen weckte und aufrecht hielt. Denn Seenotrettung ist und war teuer. Ein Schiff musste gechartert und zum Hospitalschiff umgebaut werden, Treibstoff, Lebensmittel, eine Schiffsbesatzung und medizinisches Personal bezahlt werden. Anfangs gingen die Spenden nur spärlich ein, den Durchbruch brachte eine Fernsehsendung: Rupert Neudeck und der Generalsekretär des DRK traten gemeinsam in der Magazinsendung "Report Baden Baden" des Journalisten Franz Alt auf.

Dort berichteten sie über die geplante Rettungsaktion - drei Tage später waren 1,2 Millionen D-Mark auf dem Konto von "Ein Schiff für Vietnam", und der Verein konnte den Frachter "Cap Anamur" chartern.

Mindestens genauso wichtig war aber eine Garantie, die einige Wochen zuvor die Bundesregierung abgegeben hatte: "Jeder Vietnam-Flüchtling, der von ... Versorgungsschiffen, die unter deutscher Flagge fahren, gerettet und aufgenommen wird, kommt in die deutsche Bundesrepublik!", gab Staatssekretär Günther van Well zu Protokoll.

Dabei hatte der Politiker natürlich nicht damit gerechnet, dass sich ein Schiff gezielt auf die Suche nach Flüchtlingen machen würde.

Ein Fiasko

Die erste Reise wurde aus Sicht der Medien zum Fiasko. Ein großer Pulk Journalisten war an Bord, alle wollten gerettete Boatpeople fotografieren. Die gab es aber vorerst nicht, statt dessen wurde das Schiff von den indonesischen Behörden konfisziert. Man sei widerrechtlich in indonesische Hoheitsgewässer eingedrungen, lautete der Vorwurf.

Erst am 30. September 1979 wurden die ersten Flüchtlinge an Bord genommen. Im großen Stil rettete die "Cap Anamur" Boatpeople in der Zeit zwischen 1980 und 1982, insgesamt fast 10.000 Menschen; rund 35.000 Menschen wurden auf dem Schiff medizinisch versorgt.

Unumstritten war die Seenotrettung nicht, auch daran hat sich nichts geändert: Die Flüchtlinge gehörten in Wirklichkeit zur wohlhabenden Mittelschicht in Vietnam, behauptete vor allem die deutsche Linke.

Mit ihrer Präsenz im Chinesischen Meer würde die "Cap Anamur" die Menschen geradezu dazu verführen, sich auf den gefährlichen Weg zu machen, argumentierten die Konservativen.

Mit solchen Vorwürfen müssen auch die Seenotretter des Jahres 2019 leben. Rupert Neudeck ließ sich davon nie beirren. Er argumentierte mit dem Evangelium, mit der Erzählung vom Barmherzigen Samariter.


Ankunft des Rettungsschiffs "Cap Anamur" mit 285 vietnamesischen Bootsflüchtlingen / © Volkmar Schulz / Keystone (epd)
Ankunft des Rettungsschiffs "Cap Anamur" mit 285 vietnamesischen Bootsflüchtlingen / © Volkmar Schulz / Keystone ( epd )
Quelle:
KNA