Wie Integration in der kleinsten Gemeinde von NRW gelingt

Als Flüchtling zwischen Kühen und Kirche

Seit 2015 eine große Zahl an Flüchtlingen nach Deutschland kamen, wurde viel diskutiert: Wie sie alle aufnehmen, wie integrieren? In dem kleinen Ort Dahlem wurde weniger diskutiert - dafür aber viel gehandelt.

Blick auf Dahlem in Nordrhein-Westfalen / © Nadine Vogelsberg (KNA)
Blick auf Dahlem in Nordrhein-Westfalen / © Nadine Vogelsberg ( KNA )

"Ich bin Malek. Wie geht es Dir?", sagt das neunjährige Mädchen auf Deutsch in die Kamera. Sie hat die langen schwarzen Haaren zu Zöpfen geflochten und sitzt neben ihrer Mutter Najwa und den beiden jüngeren Geschwistern auf dem Sofa. Sie alle schauen Hasan Barakat an, den Ehemann und Vater. Aber sie sehen ihn nur über das Smartphone, denn das Sofa steht im Libanon.

"Auflegen ist immer das Schwerste"

Barakat aber sitzt in seiner Küche in Dahlem, ganz im Westen Deutschlands an der Südgrenze Nordrhein-Westfalens. Der Ort zählt 4.239 Einwohner auf sechs Dörfern und mindestens ebenso viel Nutzvieh. Nächste Großstadt: Köln, 80 Kilometer in nordöstlicher Richtung. Dahlem ist die Gemeinde mit der geringsten Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte in NRW - dafür aber einem umso größeren Engagement für Flüchtlinge.

Seit drei Jahren lebt Barakat als anerkannter Flüchtling hier. Er stammt aus Homs in Syrien, 3.800 Kilometer entfernt. Geschätzte Einwohnerzahl dort: 800.000 - viel größer, auch viel wärmer. Aber Dahlem ist sicher, Homs nicht. Umso schwerer fällt es dem 37-Jährigen, seine Familie nur noch via Smartphone zu sehen. Der junge Mann mit grau meliertem Bart und einem Pulli gegen die Winterkälte schaut traurig. Gerne würde er seine libanesische Frau und die gemeinsamen Kinder zu sich holen. Doch die Hürden sind groß.

Sein Glück ist, dass er nicht auf sich allein gestellt ist. Die 81 Flüchtlinge in der Gemeinde Dahlem haben die Unterstützung vieler Ehrenamtlicher. Einer von ihnen ist Peter Mertens. Er sitzt oft bei Barakat am Küchentisch, trinkt einen Kaffee mit ihm und winkt der kleinen Malek zu. Barakat spricht noch ein paar Worte Arabisch mit seiner Tochter, dann legt er auf. Den Blick auf das Handy gesenkt sagt er auf Deutsch: "Auflegen ist immer das Schwerste." 

Die Geflüchteten haben Deutsch gelernt​

Die Kinder können bereits ein wenig Deutsch, damit sie sofort mit der Schule beginnen können, wenn sie erst in Deutschland sind. Doch das dauert. Mertens hilft, er schaut sich die Anträge an und schreibt an Politiker. Dem Bundespräsidenten hat er bereits eine E-Mail geschickt, der nordrhein-westfälischen Landesregierung auch. Nur wenige schweigen, manche können sogar helfen. Aber Mertens tut mehr als Anträge zu checken. Er unterhält sich mit den Flüchtlingen, gibt Tipps - anfangs noch über Übersetzungsprogramme im Internet. Das ist jetzt nicht mehr nötig.

Die Geflüchteten haben Deutsch gelernt. Das alles habe in Dahlem von Anfang an gut funktioniert, sagt auch Peter Müller, der Flüchtlingskoordinator der kleinen Eifel-Gemeinde. "Man sieht gleich den Menschen, kennt ihn und setzt sich für ihn ein", beschreibt er das Zusammenwirken von Ehrenamtlichen und Flüchtlingen. Die einen hätten mit ihrer Hilfe so viel Emotionalität rübergebracht, dass die anderen sich sofort aufgenommen gefühlt hätten.

Das bestätigt Barakat. "Dahlem ist gut", erklärt er enthusiastisch und beschreibt, wie schön es sei, hier über die Straße zu gehen. Alle grüßten freundlich, mit den Nachbarn könne man sich über den Gartenzaun hinweg unterhalten. "Es ist neu, aber auch schön", sagt Barakat.

Ein Name statt einer Registriernummer

Das Engagement ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Der ortsansässige Pfarrer Matthäus Zuska hat einen iranischen Flüchtling im geräumigen Pfarrheim wohnen lassen. Wie Dahlem mit den Flüchtlingen umgehe, sei "einzigartig", so der Geistliche. Die Neubürger hätten einen Namen und nicht nur eine Registriernummer, ein Haus anstelle eines Wohncontainers. Was sie dann noch bräuchten, sei ein Anwalt, "denn mit dem deutschen Recht kennen sie sich nicht aus".

Statt eines Anwalts haben die Dahlemer Flüchtlinge immerhin Ehrenamtliche. Da ist die pensionierte Grundschullehrerin, die Sprachunterricht gibt, weil die offiziellen Kurse so weit weg stattfinden. Oder die regelmäßige Kirchgängerin, die mit dem Auto ein paar Orte weiterfährt, um arabische Lebensmittel zu besorgen. Damit haben die Flüchtlinge auch einmal für die Dahlemer gekocht: Zur 1.150-Jahr-Feier des Dorfes bauten sie ihren Stand zwischen Frittenbude und Kaffeebar auf. Bei ihnen herrschte der größte Andrang. Die Flüchtlinge wollen etwas zurückgeben.

Auch wenn das kleine Dahlem das Aufeinanderzugehen erleichtert, so erleben auch die Flüchtlinge die Nachteile eines Dorflebens: Die Wege sind weit und dadurch oft teuer, Mietwohnungen sind selten, und Arbeitsstätten gibt es auch nicht viele. In dieser Hinsicht hat Barakat es gut getroffen: Er hat ein Haus an einer der Dorfhauptstraßen gemietet, groß genug, damit seine Familie dort Platz hat, eines Tages. Den Führerschein hat er in Deutschland gemacht und arbeitet nun als Elektriker bei einer ortsansässigen Firma. Dort wurde er nach einem Praktikum übernommen. Seine Kollegen sind mittlerweile seine Freunde, sagt er.

Bürgermeister: "Unser Wachstum ist begrenzt"

Viele Flüchtlinge würden aber lieber in eine Großstadt umziehen, weil sie dort bessere Aussichten auf Job und Wohnung sehen. Das weiß auch Bürgermeister Jan Lembach (CDU). Seit vier Jahren steht er der Gemeinde vor. Von Anfang an habe man den Flüchtlingen aufgrund der ehrenamtlichen Unterstützung relativ gelassen entgegengeblickt, so Lembach. Er weiß um die Vorteile einer kleinen Gemeinde - und um die Nachteile.

Aus ihrer Heimat seien die Flüchtlinge Städte und ihre Infrastruktur gewohnt. "Unser Wachstum ist begrenzt, weil wir keinen Wohnraum haben", erklärt Lembach. Eine kleinere Anzahl an Flüchtlingen sei indes viel leichter zu managen, vor allem, wenn einige schon einem Beruf nachgingen. Entscheidend sei dabei vor allem die Sprachkenntnis.

"Alles in allem sind wir zufrieden, wie wir die Integration auf den Weg gebracht haben", so Bürgermeister Lembach. Das Netzwerk funktioniere mittlerweile gut, um den Alltag zu bewältigen. Wenn ein Flüchtling mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht weiterkomme, hilft der eine oder andere mit dem Auto. Auch Peter Mertens. Er fährt Flüchtlinge in den Nachbarort, zum Arzt oder zum Flughafen - wenn ihrem Antrag auf Asyl nicht stattgegeben wurde und sie zurück in ihre Heimatländer müssen. Den Kontakt hält er trotzdem.

Barakat braucht kein Taxi. Er denkt nur an seine Familie. Die Visa wurden mittlerweile ausgestellt. Bald wird der traurige Blick auf das Smartphone der Vergangenheit angehören. Ohne Dahlems viele Ehrenamtliche wäre das nicht möglich gewesen.

Von Nadine Vogelsberg 


Ehrenamtliche mit Flüchtlingen / © Harald Oppitz (KNA)
Ehrenamtliche mit Flüchtlingen / © Harald Oppitz ( KNA )

Im Deutschunterricht für Flüchtlinge / © Harald Oppitz (KNA)
Im Deutschunterricht für Flüchtlinge / © Harald Oppitz ( KNA )

Herzlicher Austausch  / © Jörg Loeffke (KNA)
Herzlicher Austausch / © Jörg Loeffke ( KNA )
Quelle:
KNA
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