Betreiber zeigen sich nach Ende der "Aquarius"-Irrfahrt erleichtert

"Wir hoffen auf eine Trendwende"

Nach fünf Tagen Irrfahrt ist das Rettungsschiff "Aquarius" mit 141 Migranten an Bord in der maltesischen Hauptstadt Valletta eingelaufen. Die Betreiber - SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen – hoffen auf eine politische Trendwende.

Rettungsschiff Aquarius in Malta  / © Raphael Satter (dpa)
Rettungsschiff Aquarius in Malta / © Raphael Satter ( dpa )

DOMRADIO.DE: Vier Tage lang war die Aquarius ohne Aussicht auf sicheren Hafen auf dem Meer unterwegs. Wie erleichtert waren Sie, als gestern die Nachricht kam, dass es anlegen darf?

Florian Westphal (Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen): Natürlich sehr erleichtert, weil wir seit Tagen auch darauf gedrängt haben, dass ein sicherer Hafen für die schiffbrüchigen Menschen bereitgestellt wird. Von diesen 141 sind ja zum Beispiel sehr viele minderjährig, sehr viele unbegleitete Minderjährige, deren Gesundheit teilweise durch die Flucht, aber vor allem auch durch ihre Inhaftierung in Libyen, in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wir haben unter anderem auch viele Mangelernährte an Bord gehabt. Und diese Menschen kann man natürlich letztendlich nur versorgen, wenn sie auf festen Grund und Boden sind. Insofern begrüßen wir das natürlich, dass in Valetta auf Malta die Ausschaffung begonnen hat.

DOMRADIO.DE: Was passiert jetzt eigentlich als erstes mit den Menschen?

Westphal: Jetzt ist es sozusagen nicht mehr in unserer Verantwortlichkeit. Aber für uns ist natürlich ganz wichtig, dass erstmal die medizinische Untersuchung und - wo nötig - auch Betreuung weitergeführt wird. Das heißt, dass medizinisch geschaut wird, was gebraucht wird. Wir können an Bord nicht alles so genau regeln. Und dann nehme ich mal an, dass die beteiligten Staaten sich darüber Gedanken gemacht haben, wie sozusagen der weitere Verlauf sein wird.

DOMRADIO.DE: Diese Ungewissheit, die auf hoher See dann erst mal herrscht, das muss ja für die Retter auf dem Schiff auch eine enorme Belastung sein. Zumal es ja nun nicht das erste Mal ist, dass das Anlegen verweigert wird. Wie gehen Ihre Kollegen an Bord der Aquarius mit dieser immer komplizierter werdenden Lage um?

Westphal: Das ist natürlich extrem frustrierend für unsere Kollegen an Bord des Schiffes. Denn man muss sich darüber klar werden, warum die da sind. Einmal natürlich ganz klar, um dort Menschenleben zu retten. Wir wissen in den letzten Wochen, wo es nur noch eine ganz geringe Präsenz von zivilen Seenotrettung-Schiffen gegeben hat, sind Hunderte von Menschen ertrunken. Deswegen sind wir da, um diese humanitäre Krise zu beheben.

Und andererseits hören sie natürlich auch die ganze Zeit von den geflüchteten Menschen, was sie durchgemacht haben. Und sie hören Geschichten von Folter, Zwangsarbeit, Misshandlung, Vergewaltigung bis zu Sklaverei in Libyen, die auch diesmal die Passagiere wieder erzählen. Auch das ist natürlich eine extreme Belastung für unsere Kolleginnen, wenn sie das Gefühl haben, man kann diesen Menschen nicht so schnell helfen, wie man eigentlich helfen sollte, weil man eben keinen sicheren Hafen ansteuern kann, sondern wartet auf hoher See.

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, dass sozusagen die Seenot-Decke sehr dünn ist. Ist die Aquarius das letzte verbliebene Seenotrettung-Schiff auf dem Mittelmeer?

Westphal: Also meiner Kenntnis nach gibt es noch ein Schiff einer spanischen Nicht-Regierungs-Organisationen, das aus Spanien ausgelaufen ist und wahrscheinlich auf dem Weg in diese Zone der internationalen Gewässer zwischen Libyen und Malta und Italien ist. Aber leider ist es ja so, dass andere Schiffe in Italien und Malta festgesetzt worden sind und deswegen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Und was das bedeutet, haben wir in den letzten Wochen direkt gesehen. Die Zahl der Ertrunkenen ist sofort sprunghaft gestiegen. Viele hundert Menschenleben wurden verloren, weil diese zivilen Seenotrettung-Schiffe an ihrer Arbeit gehindert wurden. Das ist etwas, wo wir auch weiterhin darauf bestehen, dass europäische Regierungen diesen humanitären Notfall-Einsatz unterstützen müssen; nicht ihn behindern oder womöglich kriminalisieren.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist dieser aktuelle Fall ja tatsächlich nicht der erste. Anfang Juni war ihr Schiff, die Aquarius, auch schon mal vergeblich auf der Suche nach einem Hafen. Der Lifeline ging es ähnlich. Wie sieht denn in Ihren Augen die Zukunft der Seenotrettung aus?

Westphal: Wir hoffen und wir drängen natürlich auch darauf, dass diese Kompromisslösung, die jetzt mit Malta als Hafen mit den fünf beteiligten europäischen Ländern gefunden wurde, dass diese auch den Beginn einer Trendwende darstellt. Es ist ja so, dass kurzfristig die europäischen Länder dafür sorgen müssen, dass diese humanitäre Mission der Seenotrettung weiterlaufen kann.

Und dann längerfristig müssen sie dafür sorgen, dass es eine nachhaltige Lösung gibt, damit die Menschen endlich nicht mehr dazu gezwungen sind, auf den Schlauchbooten der Schlepper aus Libyen zu entkommen. Sondern damit es endlich legale und sichere Wege gibt, um in Europa vor Krieg und Verfolgung Schutz zu ersuchen. Letztendlich gibt es keine andere Lösung.

DOMRADIO.DE: Ihre Aquarius fährt derzeit unter der Flagge Gibraltars. Jetzt hat die britische das britische Überseegebiet angekündigt, dass ihnen am 20. August die Flagge entzogen werden soll. Wie geht es dann weiter?

Westphal: Das Schiff ist ja direkt von einer Reederei bereitgestellt, die diese Auslagerung gegen Gibraltar schon vor langer Zeit arrangiert hat. Mit unseren Partnern von SOS Méditerranée dieser Schiffe chartern sind wir uns 100 Prozent sicher, dass wir alle Regularien befolgt haben, dass wir immer ganz klar transparent kommuniziert haben, dass es sich um einen Rettungsschirm handelt. Und deswegen haben wir ja auch erst mal schon mal ganz klar Einspruch eingelegt gegen diese Entscheidung. Es gibt wirklich keinen Grund und keine Rechtfertigung, die einen Flaggenentzug erklären könnte.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


 Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion Ärzte ohne Grenzen / © Lisa Ducret (dpa)
Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion Ärzte ohne Grenzen / © Lisa Ducret ( dpa )
Quelle:
DR