Pro Asyl kritisiert Sammel-Abschiebungen nach Afghanistan

"Verschärfte Sicherheitslage"

Abschiebeflüge nach Afghanistan sind umstritten. Am Dienstagabend hob ein weiterer Flug ab - mit 46 Menschen an Bord. "Das ist ignorant und für die Betroffenen extrem gefährlich", sagt der Leiter der Europa-Abteilung von Pro Asyl.

Proteste gegen Sammelabschiebungen nach Afghanistan  / © Henning Kaiser (dpa)
Proteste gegen Sammelabschiebungen nach Afghanistan / © Henning Kaiser ( dpa )

DOMRADIO.DE hat vor Abflug des Fluges mit dem Leiter der Europa-Abteilung von Pro Asyl, Karl Kopp, gesprochen.

DOMRADIO.DE: Herr Kopp, wie viele Afghanen sollen heute abgeschoben werden?

Karl Kopp (Leiter der Europa-Abteilung von Pro Asyl): Das wissen wir nicht. Wie so oft bei diesem traurigen Ritual werden wir erst morgen wissen, wer in der Maschine sitzt und welche Bundesländer beteiligt sind. Erst dann erfahren wir, ob es Menschen mit Ausbildungsplätzen sind.

Wir wissen mittlerweile, dass bei dem Seehofer-"Geburtstagflug" - zynisch formuliert - sehr viele junge, gut integrierte afghanische Flüchtlinge darunter waren.

DOMRADIO.DE: Sie meinen die Äußerung des Innenministers von Mitte Juli, dass ausgerechnet an seinem 69. Geburtstag 69 Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben wurden…

Kopp: Wir wissen, dass beim letzten Mal ein Flüchtling noch im Asylverfahren war, der mittlerweile nach der katastrophalen Fehlentscheidung wieder einreisen durfte. Es gab nach der Abschiebung Suizidversuche - leider einen erfolgreichen. Also das Potpourri wird sich morgen erst wieder entfalten. So ist es bei jedem Abschiebeflug.

DOMRADIO.DE: In was für ein Land kommen die meisten Menschen jetzt? Wie hat sich die Lage in Afghanistan entwickelt?

Kopp: Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Wochen nochmal dramatisch verschärft. Erst am Freitag haben islamistische Talibankämpfer die ostafghanische Provinzhauptstadt Ghazni nach tagelangen Gefechten erobert, Menschen getötet. Dabei ist Ghazni nicht die einzige Stadt. Die Offensive der Taliban geht weiter. Es gibt Terroranschläge, Bombenanschläge, viele tote Zivilisten.

Und es gibt einen massiven Abschiebedruck aus anderen Ländern - beispielsweise aus dem Iran, auch aufgrund der Wirtschaftslage. Dementsprechend ist die Situation sozial, aber auch sicherheitspolitisch sehr prekär.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet das jetzt für die Afghanen, die in dieses Land zurückkommen, aus dem sie eigentlich geflüchtet sind?

Kopp: Was mit den Menschen wird, das können wir kaum überwachen. Wir haben bei dem einen Fall, der wieder einreisen durfte, gesehen, dass der Betroffene sich wochenlang praktisch nur in einem Hotel aufhalten und dann unter schwierigen Bedingungen wieder legal ausreisen konnte. Dementsprechend wenden wir uns gegen diese Abschiebungen.

DOMRADIO.DE: Was werfen Sie der Regierung vor?

Kopp: Die Bundesregierung und das Innenministerium verweigern bewusst die Realität. Man will den Kreis der Abzuschiebenden ja sogar erweitern. Das heißt, die Abschiebung soll nicht nur für Straftäter, Gefährder und sogenannte Identitätsverweigerer gelten, sondern es wird völlig geöffnet.

Bayern macht das bereits. Wir haben momentan eine Situation, dass ein Kreis von knapp 4.000 Ausreisepflichtigen in Angst und Schrecken versetzt wird. Das ist völlig ignorant, wenn das innenpolitisch Sinn und Zweck ist, die Leute zu verschrecken und zukünftige Schutzsuchende abzuschrecken.

DOMRADIO.DE: Der Abschiebeflug soll heute Abend um halb neun starten. Gibt es da Widerstand?

Kopp: Es gibt Proteste von zahlreichen, nicht nur zivilgesellschaftlichen Gruppen und Unternehmensverbänden, die sagen: "Ihr seid doch wahnsinnig. Ihr schiebt uns die Leute ab, denen wir eine Ausbildung anbieten. Das kann nicht sein." Der bayerische Weg muss beendet werden.

Das Interview führte Julia Reck.


Quelle:
DR
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