CDU-Politiker Hirte zur Abschiebung von Konvertiten

Ein Problem mit allen Schattierungen

In manchen Ländern droht ihnen Verfolgung und Todesstrafe: Trotzdem lehnt das BAMF reihenweise Asylanträge von zum Christentum übergetreten Geflüchteten ab. Wie kommt es zu solchen Entscheidungen?

Taufe eines syrischen Flüchtlings in evangelischer Kirche / © Harald Oppitz (KNA)
Taufe eines syrischen Flüchtlings in evangelischer Kirche / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wenn Gerichte über Autounfälle oder Tierquälerei zu entscheiden haben, dann ziehen sie Gutachter heran, Ingenieure oder Veterinäre. In Fragen der Religion entscheidet einzig ein Asylsachbearbeiter des BAMF. Wie kann das sein?

Heribert Hirte (CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Stephanuskreises des Deutschen Bundestages): Zunächst mal müssen wir die Frage stellen, ob jemand zu einer Religion gehört oder nicht. Das ist eine Frage der persönlichen Überzeugung. Die Frage hingegen, ob jemand bei uns Asyl gewährt bekommt, ist eine staatliche Entscheidung. Die eine Frage hat natürlich mit der anderen Frage zu tun, aber es ist nicht so, als ob ein Gutachter die staatliche Entscheidung abschließend beurteilen könnte. Das darf auch so nicht sein, weil das letztlich zwei unterschiedliche Sphären sind.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, jemand würde seinen Glauben aufgeben und zum Christentum konvertieren, nur um einen Asylgrund zu schaffen, wenn er weiß, dass er damit gleichzeitig sein Todesurteil sprechen könnte?

Hirte: Das Problem ist, dass es, wie immer im Leben, alle Schattierungen gibt. Es gibt – so kriegen wir das berichtet – eine große Zahlen von Menschen, die sich aus großer Überzeugung vom Islam abkehren und zu anderen Religionen übertreten. Wir wissen aber auch, dass es Menschen gibt, die das aus taktischen Gründen tun. Und man kann noch nicht einmal sagen, dass das ein schlechter Grund ist. Denn wir wissen natürlich auch, dass in manchen Ländern der Welt gesagt wird: Das Christentum ist das, was die sogenannte westliche Welt ausmacht. Und wenn man diese westliche Welt als Lebensmodell für gut hält, dann bekennt man sich zum Christentum, um dorthin zu kommen. Aber diese Einzelüberlegungen voneinander abzugrenzen, ist außerordentlich schwierig.

DOMRADIO.DE: Sie vom Stephanuskreis setzen sich für Toleranz und Religionsfreiheit und auch für verfolgte Christen auf der ganzen Welt ein. Wenn jetzt aber eine von der Union geführte Behörde wissentlich Christen in Länder abschiebt, in denen ihnen Verfolgung, Gewalt oder vielleicht sogar der Tod droht, wo bleibt denn da der Aufschrei?

Hirte: Wir haben aufgeschrien – wenn sie das Wort hören wollen – und wir haben sehr intensiv mit dem BAMF über diese Fragen gesprochen und das, was ich Ihnen gerade geschildert habe, geht darauf zurück. Und wenn ich dann in Diskussionen die Frage stelle: "Was meinen Sie denn, wie viele Prozent der Menschen, die aus Afghanistan zu uns kommen, fühlen sich nicht als Christen?" Dann bekommt man die Zahl von 95 Prozent zu hören und das führt dann bei uns in Deutschland zu Stirnrunzeln.

Und dann müssen wir der Frage nachgehen, wieviel ist innere Überzeugung und wieviel ist vielleicht nicht innere Überzeugung. Und ich glaube, die politische Frage, die überhaupt noch nicht gestellt worden ist, ist, dass wir in vielen Ländern der sogenannten islamischen Welt auch sehen, dass es eine starke innere Distanzierung von dem sogenannten herrschenden und von den Regierungen gepflegten Islam gibt. Und alle diese Menschen sagen dann: "Wir sind letztlich Christen." Aber wir können nicht alle diese Menschen aufnehmen. Das macht die Sache außerordentlich schwierig, weil für diese letzte Frage noch überhaupt keine verbindliche Entscheidung da ist.

DOMRADIO.DE: Ich gehe jetzt trotzdem noch einen Schritt zurück und insistiere nochmal: Auf Anfrage teilt das BAMF mit, der Entscheider muss beurteilen, ob der Glaubenswechsel des Antragstellers aus taktischen Gründen oder aus echter Überzeugung erfolgt ist. Wie soll das gehen, den Glauben eines anderen Menschen gerichtsfest zu beurteilen?

Hirte: Das ist, wie ich es in meiner ersten Anmerkung gesagt habe, die staatliche Frage. Wir müssen entscheiden, ob Verfolgung droht, wenn zurückgeschickt wird. Und diese Frage ist natürlich davon abhängig, ob es eine Überzeugung gibt, ob in dem Land, in das zurückgeschickt wird, bekannt ist, dass es in einigen Fällen keine wirkliche Glaubensüberzeugung gibt, und ob in manchen Gemeinden die Strafen gegen den Abfall vom islamischen Glauben nicht so praktiziert werden, wie es im formalen Islam vorgeschrieben ist. Diese Entscheidung ist eine staatliche Entscheidung.

DOMRADIO.DE: Bei dieser berühmtberüchtigten Abschiebung der 69 Afghanen am Geburtstag von Innenminister Seehofer war mindestens ein Konvertit unter den Abgeschobenen. Ist das jetzt der Standard, an den wir uns gewöhnen müssen oder was fordern Sie von Ihrer Bundesregierung?

Hirte: Ich fordere von der Bundesregierung und von der BAMF, dass die Entscheidung und die Frage der Verfolgung kritisch geprüft wird. Und ich fordere auch, dass umgekehrt die Frage der Verfolgung und die Frage der möglichen Bedrängung im Falle einer Rückführung ausgewogener gesehen wird. Wir wissen, dass die Verfolgungslage nicht in allen Regionen eines Landes völlig identisch ist und dass nicht jedes Bekenntnis zu einer anderen Religion in den entsprechenden Ländern als kritisch angesehen wird. Sonst hätten wir – das ist ja eine andere Situation in Ländern wie dem Iran – keine geduldeten Hauskirchen, in denen Christentum praktiziert wird und die auch mit Billigung und Wissen der staatlichen Institutionen dort existieren.

Das Interview fühte Hilde Regeniter.


Prof. Heribert Hirte / © Gregor Fischer (dpa)
Prof. Heribert Hirte / © Gregor Fischer ( dpa )
Quelle:
DR