Augenzeugin über Flüchtende auf der Straße von Gibraltar

"Nach dem Sturm kommen sie wieder"

Die Straße von Gibraltar: Hunderte Menschen versuchen über die Meerenge nach Spanien zu kommen, Touristen machen auf den Walbeobachtungsbooten Fotos von den Flüchtlingen. Die Kirche helfe viel zu wenig, berichtet eine Augenzeugin.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Von Ihrem Heimathafen Tarifa bei Gibraltar aus starten Sie täglich in die Meerenge. Sind Ihnen denn schon Flüchtende während ihrer Forschungsfahrten begegnet?

Katharina Heyer (Gründerin der Stiftung Firmm zur Beobachtung der Wale und Delfine in der Straße von Gibraltar): Natürlich. Unser Kapitän ist verpflichtet, sofort zu melden, wenn er etwas sieht. Dann müssen wir das kleine Boot – meistens waren bisher zwei bis drei Leute drin – im Auge behalten. Wir dürfen dann nicht wegfahren, auch wenn wir das Schiff voller Touristen haben, die gerne Wale und Delfine beobachten würden. Dann müssen wir warten bis die Küstenwache kommt und sie einsammelt. Wir dürfen aber keine Menschen an Bord nehmen. Das ist verboten. Das dürfen wir nur, wenn die Menschen in Lebensgefahr sind. Aber die Küstenwache ist ständig unterwegs und holt die Flüchtlingsboote rein.

DOMRADIO.DE: Und wenn es zu einer Begegnung kommt, wie reagieren dann die Touristen?

Heyer: Die Touristen fotografieren natürlich. Aber die Crew weiß, was zu tun ist. Wir sehen ja auch im Hafen Hunderte von Flüchtlingen und die Flüchtlingsboote, die die Rettungsboote in unseren Hafen bringen. Die Crew will auch helfen, wir sind eigentlich diesen Flüchtlingen sehr positiv gegenüber eingestellt. Aber wir dürfen sie nicht an Bord nehmen.

DOMRADIO.DE: In der Meerenge von Gibraltar gibt es auch Pottwale und vor der Küste Marokkos sind auch Orcas zu Hause. Ist das ein Problem für die Flüchtenden in kleinen Booten?

Heyer: Nein, Wale greifen keine Flüchtlinge an. Von denen geht keine Gefahr aus für die Flüchtlinge.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es aus mit dem Wetter? Heute und in den kommenden Tagen sind Sie wetterbedingt nicht auf hoher See unterwegs. Machen sich Ihrer Erfahrung nach trotzdem Flüchtlinge auf den Weg?

Heyer: Heute haben wirklich einen ganz starken Wind. Da werden auch keine Flüchtlinge kommen. Aber sobald der Wind nachlässt, werden sie sich wieder auf den Weg machen. Und dann sind es ein paar hundert mehr. Das ist das Tragische.

DOMRADIO.DE: Wie gehen denn die Spanier mit dieser wachsenden Zahl an Flüchtenden um? Gibt es da Proteste, Hilfsaktionen?

Heyer: Hier in Tarifa ist der Hafen schon längst überfüllt gewesen. Große Busse bringen die Flüchtlinge in Einrichtungen. Es wurde eine Sporthale für 600 Personen geöffnet. Die war aber ganz schnell überfüllt. Seit drei Tagen darf nun der Hafen von Tarifa von den Rettungsschiffen gar nicht mehr angelaufen werden. Einfach, weil man nicht mehr weiß, wohin mit den Menschen.

DOMRADIO.DE: In Deutschland setzen sich die Kirchen sehr für die Flüchtenden ein. Ist das in Tarifa auch so?

Heyer: Nein, da muss ich jetzt sagen, die Kirche macht eigentlich nichts, außer die Caritas zu unterstützen. Ich habe meine Crew gefragt, ob denn die Kirche auch tätig sei. Da haben sie gelacht und mich gefragt, ob ich schon mal eine Kirche gesehen hätte, die Geld stiftet. 

Aber es gibt sehr viele Freiwillige, die in diesen Flüchtlingslagern helfen. Nach ihrem Job gehen sie abends noch helfen, wann immer sie können. Die Bevölkerung hilft wirklich, wo sie kann. Aber es fehlt an Kleidung, an Unterbringungsmöglichkeiten, an Nahrung, es fehlt einfach an allem. Und deshalb ist es jetzt so, dass die ganzen Flüchtlinge nicht mehr in Tarifa ankommen dürfen. Sie kommen jetzt an den anderen Orten hier an, bis auch dort wieder alles überfüllt ist. Das Tragische ist: Ich sehe diese Menschen seit drei Tagen nicht mehr, aber ich weiß natürlich, das Problem ist nur verschoben und es hat nicht aufgehört.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR