"Aquarius" kehrt vor libysche Küste zurück

Kritik an EU und libyscher Seenotleitstelle

Nach mehreren Wochen Pause kehrt das zivile Rettungsschiff "Aquarius" zu Einsätzen vor die libysche Küste zurück. Die Hilfsorganisationen "SOS Mediterranee" und "Ärzte ohne Grenzen" wollen testen, ob private Seenotrettung dort noch möglich ist.

Rettungsschiff Aquarius / ©  Salvatore Cavalli (dpa)
Rettungsschiff Aquarius / © Salvatore Cavalli ( dpa )

Das private Rettungsschiff "Aquarius" läuft wieder zu Einsätzen vor die libysche Küste aus. Das von den zivilen Hilfsorganisationen "SOS Mediterranee" und "Ärzte ohne Grenzen" gecharterte Schiff lag seit rund einem Monat im Hafen von Marseille.

Obwohl sich die Rahmenbedingungen für die Rettung von Flüchtlingen in den vergangenen zwei Monaten radikal verändert haben, werde das Schiff am Abend wieder in See stechen, sagte die Geschäftsführerin von "SOS Mediterranee Deutschland", Verena Papke, am Mittwoch in Berlin. "Zur Rettung von Menschen gibt es keine Alternative", betonte sie.

International geltendes Seerecht

Allein im Juni seien im Mittelmeer 700 Menschen ertrunken, weil zivile Rettungsschiffe davon abgehalten wurden, Flüchtlinge in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste zu retten, erklärte Papke. Diese humanitäre Tragödie und das Versagen der EU spiele sich "vor unseren Augen ab". Sie fügte hinzu: "Da dürfen wir nicht zuschauen." Aloys Vimard, Projektkoordinator von "Ärzte ohne Grenzen" an Bord der "Aquarius", sagte, Menschen aus Seenot zu retten sei eine rechtliche und moralische Verpflichtung.

Papke betonte weiter, bei den Einsätzen werde man sich streng an international geltendes Seerecht halten und unter anderem durch ein öffentlich einsehbares Logbuch völlige Transparenz zeigen. Um sich abzusichern waren Vertreter der Hilfsorganisationen vergangene Woche in Tripolis zum Informationsaustausch mit der libyschen Seenotleitstelle, die jetzt für das Einsatzgebiet zuständig ist. Bei den Einsätzen gebe es allerdings eine "Rote Linie" für die zivilen Seenotretter: "Wir werden keine geretteten Flüchtlinge nach Libyen zurückbringen, sondern nur in europäische Häfen", sagte Papke.

Libyen, ein sicherer Hafen?

Libyen erfülle nicht die allgemeingültigen Kriterien eines sicheren Hafens. Das gelte nach Auffassung vieler ziviler Retter auch für alle anderen nordafrikanischen Länder an der südlichen Mittelmeerküste, erklärte Papke. Laut "Ärzte ohne Grenzen" sind Flüchtlinge in Libyen in einem "alarmierenden Ausmaß" Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt.

Beide Organisationen kritisierten die Übertragung der Koordinierung der Rettungseinsätze von Italien an die libysche Küstenwache. Trotz der Anerkennung durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO sei für die zivilen Retter die libysche Seenotleitstelle keine kompetente Behörde, sagte Papke. Die Stelle sei nicht 24 Stunden erreichbar und viele dort sprächen kein Englisch. Nicht nur deshalb müsse Europa seine Häfen für die zivilen Rettungsschiffe wieder öffnen.

Lebensmittel und medizinische Vorräte

Für die neue Tour wurde die unter der Fahne Gibraltars fahrende "Aquarius" mit zusätzlichen Lebensmitteln und medizinischen Vorräten ausgerüstet, um auf dem Schiff über mehrere Tage Nothilfe für mehr als 500 Personen leisten zu können. Die 35-köpfige Crew besteht aus der Mannschaft sowie einem Rettungs- und einem medizinischen Team.

In einer Erklärung, die als Zeitungsanzeige am Donnerstag veröffentlicht werden soll, wollen die Retter für ihren erneuten Einsatz werben. Unterstützt werden sie den Angaben zufolge von zahlreichen europäischen Prominenten aus Politik und Gesellschaft wie Juso-Chef Kevin Kühnert, Schauspielerin Juliette Binoche, Sänger Jan Delay, Grünen-Chef Robert Habeck oder dem Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando.

Das Rettungsschiff "Aquarius" musste im Juni rund eine Woche im Mittelmeer ausharren, bis es am 17. Juni in Valencia anlegen konnte, um die Geretteten abzusetzen. Italien und Malta hatten zuvor ihre Häfen für die Seenotretter gesperrt.


Quelle:
epd