Orient-Experte wirbt für mehr Austausch zwischen Religionen

"Es kann niemand wissen, was jemand anderes glaubt"

Flüchtlinge, die sich taufen lassen - ein Thema, bei dem Experten eine besondere Sensibilität für geboten halten. Der Theologe und Orientalist Harald Suermann befasst sich insbesondere mit der Lage von Konvertiten in islamischen Ländern.

Chrisam und Salböl am Taufbecken / © Harald Oppitz (KNA)
Chrisam und Salböl am Taufbecken / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Herr Professor Suermann, eine zeitlang war möglicher Missbrauch von Taufen durch Asylbewerber ein großes Thema. Ist das tatsächlich ein Problem?

Harald Suermann (Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio in Aachen): Das kommt darauf an, wie man zur Taufe gelangt. Die katholische und evangelische Kirche haben eine lange Vorbereitungszeit, in der nicht unbedingt jeder zur Taufe geführt wird. Wenn es aber um sehr schnelle Taufen geht, wie sie in manchen Freikirchen durchgeführt werden, halte ich das durchaus für problematisch. Man braucht Zeit, um zu erfahren, worauf man sich bei der Taufe einlässt.

KNA: Umgekehrt gibt es Kritik an der "Glaubensprüfung" für Asylbewerber durch das Bamf. Zu Recht?

Suermann: Das ist problematisch. Zum einen kann niemand wissen, was jemand anderes glaubt - man kann höchstens eine Wahrscheinlichkeit vermuten. Das sehen wir an uns selbst: Wie schwierig ist es, vom reinen Glaubensvollzug darauf zu schließen, was wahrer Glaube und was vielleicht nur vorgespielt ist? In den prüfenden Büros gibt es offenbar sehr unterschiedliche Vorgehensweisen. Manche Entscheidungen entsprechen womöglich nicht der Sachlage, in anderen Fällen gibt es ein großes Bemühen, der Situation gerecht zu werden.

KNA: Ist es eine Lösung, dass neuerdings ein Geistlicher die Flüchtlinge zur Prüfung begleiten darf?

Suermann: Eine solche Begleitung ist sicherlich gut und hilfreich. Für eine große Schwierigkeit halte ich jedoch die Kommunikation: Übersetzen muss jemand, der die Materie versteht. Die arabische oder auch die iranische Sprache ist nicht unbedingt dafür geeignet, die Glaubenswelt des Christentums zu beschreiben.

Wenn ein Konvertit sich in diesen Sprachen darum bemüht, kann das einen Übersetzer vor Herausforderungen stellen. Je nachdem, was abgefragt wird, müsste sich auch der Fragende gut auskennen. Es braucht also auf allen drei Seiten sowohl sprachliche als auch kulturell-religiöse Kenntnis.

KNA: Sie befassen sich insbesondere mit den Schwierigkeiten von Konvertiten in islamisch geprägten Ländern. Wie sehen sie aus?

Suermann: Besonders schwierig ist die Lage für Konvertiten in Afghanistan und Saudi-Arabien. Nicht in allen Staaten ist Konversion verboten, es gibt aber häufig administrative Hindernisse. So wird der Wechsel der Religion bisweilen nicht in den Pass eingetragen, oder die Kinder der Konvertiten gelten weiterhin als Muslime. Laut Koran gibt es im Diesseits keine Strafe für Konversion. Das ist allerdings später durch Hadithe und Scharia in Frage gestellt worden. So ist die radikale Position entstanden, ein Konvertit müsse getötet werden.

Heute sagen die meisten führenden islamischen Theologen, dass Konversion unproblematisch ist, so lange Konvertiten den Islam nicht gefährden.

KNA: Schaffen prominente Fälle wie die Blasphemie-Vorwürfe gegen Asia Bibi in Pakistan oder Raif Badawi in Saudi-Arabien ein größeres Bewusstsein für religiöse Verfolgung?

Suermann: Beide Fälle haben nichts mit Konversion zu tun. Die Blasphemie-Gesetze sind ein großes Problem. Manche radikalen Kreise betrachten eine Konversion als Beleidigung des Islam. Ich plädiere für eine klare Trennung dieser Themen. Der Vorwurf der Blasphemie - das augenscheinliche Infragestellen des Islam - kann jeden treffen, nicht nur Konvertiten.

KNA: Zurück zu geflüchteten Taufbewerbern: Welche Unterschiede zwischen Islam und Christentum spielen hier eine Rolle?

Suermann: Im Islam gelten Judentum und Christentum als Buchreligionen. Ich verstehe das Christentum nicht als Buchreligion, sondern als Versuch, der Person Jesus Christus nachzufolgen. Aber dieses Bild vom Christentum prägt die Gesellschaften in den muslimischen Ländern. In vielen Fällen löst die Begegnung mit Christen und Christus eine Konversion aus. Im Islam steht die persönliche Begegnung dagegen meist im Hintergrund, wichtiger ist das Befolgen von Regeln. In der Selbstwahrnehmung unterscheiden sich die Religionen deutlich.

KNA: Wie können Seelsorger und Flüchtlingshelfer auf diese Unterschiede eingehen?

Suermann: Der erste Schritt ist, ins Gespräch zu kommen. Es ist ein guter Ansatz, dass Islamische Theologie inzwischen an deutschen Instituten gelehrt wird und die Wissenschaftler dort im Austausch mit anderen Theologen sind. So entsteht die Möglichkeit, die andere Selbstwahrnehmung zu erkennen und zu verstehen.

Auch werden an diesen Instituten die Imame ausgebildet, die später in der Krankenhaus- oder Schulseelsorge tätig sind. Das ist mittelfristig gesehen sehr wertvoll, denn wir brauchen den Austausch nicht nur auf akademischer Ebene, sondern auch an der Basis.

KNA: Liegt in der Taufbegleitung von Flüchtlingen auch eine Chance für eine schrumpfende Kirche?

Suermann: In Deutschland gibt es christliche Gemeinden, in denen 30 Prozent der Mitglieder einen Migrationshintergrund haben. Hier wird Weltkirche sichtbar und erfahrbar. Darin sehe ich eine Chance - weniger in den Zahlen. Aber hier kann sich Kirche wieder als das zeigen, was sie eigentlich ist: eine Gemeinschaft von vielen Völkern, die zusammenleben und die Zukunft gemeinsam gestalten.

Dasb Gespräch führte Paula Konersmann.


Quelle:
KNA