Österreich will während seines EU-Ratsvorsitzes wegen der anhaltenden Zuwanderung den Schutz der Außengrenzen der EU deutlich voranbringen. Es gebe eine Fülle möglicher Maßnahmen, die inzwischen von vielen EU-Staaten mitgetragen würden, sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Brüssel. So müsse die EU-Grenzschutzagentur Frontex viel schneller als geplant personell und finanziell besser ausgestattet werden. Außerdem sollten gerettete Flüchtlinge in ein Asylzentrum außerhalb der EU gebracht werden. "Sie bekommen Schutz, aber nicht das bessere Leben in Österreich, Deutschland oder Schweden", meinte Kurz.
In Kooperation mit Anrainerstaaten des Mittelmeers solle künftig schon das Ablegen der Flüchtlingsboote verhindert werden. Bei einzelnen Staaten bestehe eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit, sagte der österreichische Regierungschef. Es sei Zeit, dass beim Migrationsthema nicht mehr die nicht durchsetzbare Verteilung von Flüchtlingen im Mittelpunkt stehe. Dies habe nur zu vielen Gräben und zu einer Spaltung der EU in dieser Frage geführt. Österreich wolle ab 1. Juli einen neuen Weg gehen und sich auf das konzentrieren, wo eine Zusammenarbeit möglich sei. (dpa/Stand 06.06.2018)
04.07.2018
Die Flüchtlingspolitik ist ins Zentrum Europas gerückt. Mittendrin liegt Österreich. Das Land hat nun die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Kanzler Sebastian Kurz will eine harte Asylpolitik. Für die Caritas Österreich ist das der falsche Weg.
DOMRADIO.DE: Was sagen Sie zu dem verschärften Kurs der EU beim Thema Asyl und Migration. Ist das der richtige Weg, der da gerade eingeschlagen wird?
Christoph Schweifer (Generalsekretär für Internationale Programme bei der Caritas Österreich): Seit 1. Juli hat Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne. Das Motto der österreichischen Präsidentschaft ist "Für Europa, das schützt". Uns als Caritas ist es wichtig, dass wir sagen, wenn wir drüber reden, dass wir Europa schützen wollen, dann müssen wir an der Menschenwürde jedes einzelnen Menschen Maß nehmen.
DOMRADIO.DE: Das heißt?
Schweifer: Das heißt, es geht hier auch um soziale Sicherheit. Wenn wir über Flüchtlings- und Asylfragen reden, dann geht es natürlich auch darum, dass Hilfe vor Ort geleistet wird. Und nicht nur Europas Grenzen dicht gemacht werden.
DOMRADIO.DE: Schauen wir darauf, wie gerade jetzt mit Migranten umgegangen wird. Wird Maß genommen an der Menschenwürde?
Schweifer: Was wir äußerst problematisch halten und für äußerst schwierig halten: Momentan ist nicht sichergestellt, dass es faire Verfahren gibt und dass auch die Menschen während des Verfahrens mit Menschenwürde untergebracht werden. Das ist nicht gesichert. Und das ist eine der Grundbedingungen, die gegeben sein müssen.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft von der österreichischen Politik um Bundeskanzler Sebastian Kurz in dem Zusammenhang?
Schweifer: Na ja, unsere Erwartung und unsere Hoffnung oder unsere Forderung ist es, den Blick zu weiten. Ich war ja selber jetzt gerade erst in Burundi und in Ruanda. In Burundi sind in den letzten zwei Jahren 400.000 Menschen in die Nachbarländer, in große Flüchtlingslager geflohen. Und der Punkt ist, wenn wir mit den Flüchtlingen sprechen, sagen alle: "Wir wollen in der Nähe unserer Heimat bleiben. Wir wollen doch wieder zurückkehren."
Erst wenn diese Hilfe vor Ort nicht gesichert ist, erst wenn die Leute nicht genügend zu essen haben, wenn die Kinder nicht in die Schule gehen können, dann machen sie sich weiter auf den Weg. Wenn wir sagen: Wir wollen die Lage der Flüchtlinge und Migration lösen, werden wir ohne Hilfe vor Ort nicht weiterkommen. Alles andere sind in Wirklichkeit Placebo-Maßnahmen.
DOMRADIO.DE: Hilfe vor Ort heißt eben auch, auf die Fluchtursachen zu schauen. Warum fliehen überhaupt Menschen nach Europa? Momentan wird viel über Grenzschutz gesprochen, über die Verteilung von Geflüchteten. Kommt dieses Thema Fluchtursachen und Bekämpfung zu kurz?
Schweifer: Es kommt in den Wortmeldungen nicht zu kurz, aber in den Taten. Die politisch Verantwortlichen sagen zwar: "Wir müssen mehr Hilfe vor Ort leisten." Aber das scheint zu einem Schlagwort zu verkommen, dem keine Taten folgen. Die europäische Politik muss Afrika in den Fokus stellen. Hier geht es darum, neue Partnerschaften aufzumachen, um tatsächlich Lebensperspektiven und Chancen der Menschen zu schaffen.
Und wenn Menschen beides in ihrer Heimat haben, und wenn sie nicht politisch verfolgt werden, dann bleiben sie dort. Niemand verlässt leichtfertig seine Heimat. Das ist kein Honiglecken. Das ist kein Wochenend-Urlaub, sondern da geben diese Menschen irrsinnig viel auf. Deswegen ist es für sie eine riesige Hürde. Und unsere Aufgabe ist es, diese Notlagen zu verringern.
DOMRADIO.DE: Dann schauen wir mal auf die aktuelle Debatte. Nun hat es endlich eine Einigung im sogenannten Asyl-Streit in Deutschland gegeben. Transitzentren sollen jetzt die Lösung sein. Das heißt, dort sollen beschleunigte Entscheidungen und Rückweisung getroffen werden. Gerade an der Grenze zu Österreich ist das natürlich ein Thema. Mit Österreich soll es hierzu auch noch mal eine eigene Vereinbarung geben. Wie stehen Sie dazu?
Schweifer: Da wissen wir im Detail zu wenig, wie das ausgestaltet sein muss. Was wir sehen, ist, dass sich letztlich die Anzahl der geflüchteten Menschen, die nach Europa, nach Österreich und nach Deutschland kommen, substanziell reduziert. Die Herausforderung ist wesentlich kleiner, als sie noch vor zwei Jahren war. Das ist überhaupt nicht vergleichbar von der Situation her.
Insofern wäre genügend Zeit, darüber nachzudenken: Was sind denn die mittel- und langfristigen Lösungen, die auch menschenrechtlichen Grundstandards entsprechen und wo auch ein solides Asylverfahren garantiert ist. Das sehen wir momentan nicht.
DOMRADIO.DE: Wenn es aber jetzt ohnehin gerade nicht viele Geflüchtete gibt, die von Österreich nach Deutschland wollen, warum ist das dann überhaupt so ein großes Thema? Können Sie das nachvollziehen?
Schweifer: Ich glaube, wir haben es hier mit einer politischen Krise zu tun und nicht mit der Flüchtlingskrise.
Das Interview führte Jann-Jakob Loos.
Österreich will während seines EU-Ratsvorsitzes wegen der anhaltenden Zuwanderung den Schutz der Außengrenzen der EU deutlich voranbringen. Es gebe eine Fülle möglicher Maßnahmen, die inzwischen von vielen EU-Staaten mitgetragen würden, sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in Brüssel. So müsse die EU-Grenzschutzagentur Frontex viel schneller als geplant personell und finanziell besser ausgestattet werden. Außerdem sollten gerettete Flüchtlinge in ein Asylzentrum außerhalb der EU gebracht werden. "Sie bekommen Schutz, aber nicht das bessere Leben in Österreich, Deutschland oder Schweden", meinte Kurz.
In Kooperation mit Anrainerstaaten des Mittelmeers solle künftig schon das Ablegen der Flüchtlingsboote verhindert werden. Bei einzelnen Staaten bestehe eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit, sagte der österreichische Regierungschef. Es sei Zeit, dass beim Migrationsthema nicht mehr die nicht durchsetzbare Verteilung von Flüchtlingen im Mittelpunkt stehe. Dies habe nur zu vielen Gräben und zu einer Spaltung der EU in dieser Frage geführt. Österreich wolle ab 1. Juli einen neuen Weg gehen und sich auf das konzentrieren, wo eine Zusammenarbeit möglich sei. (dpa/Stand 06.06.2018)