Seehofers Pläne für Ankerzentren bleiben umstritten

"Explosiver Mix"

Die Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer zur Errichtung sogenannter Ankerzentren bleiben umstritten. Gegenwind kommt von der Diakonie, Pro Asyl – und aus den eigenen Reihen.

Frauen und Kinder auf dem Weg zu einer Flüchtlingsunterkunft  / © Boris Roessler (dpa)
Frauen und Kinder auf dem Weg zu einer Flüchtlingsunterkunft / © Boris Roessler ( dpa )

Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Helmut Teichmann, sagte der "Bild am Sonntag": "Wir rechnen mit einem Bedarf von bundesweit 40 bis 50 Ankerzentren. Die Anzahl richtet sich nach den Zuwanderungszahlen und der Anzahl der Asylanträge." Geplant sind demnach Zentren mit jeweils bis zu 1.500 Flüchtlingen.

In den von der Bundesregierung geplanten Ankerzentren soll das komplette Asylverfahren der Flüchtlinge abgewickelt werden. Zunächst sollen im Rahmen einer Pilotphase bundesweit im Herbst bis zu sechs Zentren an den Start gehen. "Anker" ist die Kurzform für Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtung.

Zu viele hochbelastete Menschen bergen sozialen Sprengstoff

Die Diakonie Württemberg dringt auf eine dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen. In solchen Unterkünften könne besser auf die Belange der Einzelnen eingegangen werden, sagte Birgit Susanne Dinzinger von der Diakonie dem SWR. In kleineren Unterkünften gebe es auch keine Ausgrenzung und Stigmatisierung. Außerdem sprach sich Dinzinger für eine flächendeckende Flüchtlingssozialarbeit aus.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sprach sich bereits am Freitag gegenüber dem Evangelischen Pressedienst gegen die geplanten Ankerzentren aus. "Dann sitzen dort Menschen, die auf der Suche nach Schutz vor Krieg und Verfolgung ihre Anhörung im Asylverfahren vorbereiten neben Landsleuten, die Tag und Nacht in Angst vor ihrer Abschiebung leben", sagte er. Ein solcher "explosiver Mix" von hochbelasteten Menschen berge jede Menge Sprengstoff für Konflikte.

Lilie argumentierte, gerade der Rückbau der großen Aufnahmezentren im vergangenen Jahr habe zu einem spürbaren Rückgang der Straftaten in der Kriminalitätsstatistik geführt. "Unsere Erfahrungen mit zentralen Großeinrichtungen zeigen, dass diese Art von Unterbringung insbesondere auch für besonders vulnerable Gruppen – Familien, Frauen, Kinder, alte und kranke Menschen – nicht den notwendigen Schutz bietet", sagte der Diakoniepräsident.

Die Hilfsorganisation Pro Asyl kritisierte, die Isolierung von Flüchtlingen in Ankerzentren solle sie abschiebereif machen, indem der Zugang zu anwaltlicher Vertretung enorm erschwert werde.

Diskussion nach Sturm auf eine Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen

Vor einer Woche hatten rund 150 Bewohner der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen die Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers aus Togo zunächst gewaltsam verhindert. Vergangenen Donnerstag hatte die Polizei die Flüchtlingsunterkunft mit einem Großaufgebot gestürmt und den 23-Jährigen festgenommen. Er soll gemäß dem Dublin-Abkommen nach Italien als Erstaufnahmeland abgeschoben werden.

Der Einsatz sorgte für eine Diskussion über die Sicherheit in den geplanten Ankerzentren. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) möchte in diesen Zentren komplette Asylverfahren von der Registrierung bis zur Anerkennung oder Rückführung abwickeln.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht sich nach dem Polizeieinsatz in Ellwangen in ihrer Kritik an Seehofer und den geplanten Ankerzentren bestätigt. "Die Probleme wachsen mit der Größe solcher Lager, auch die Ängste der Menschen dort wachsen und schaukeln sich auf", sagte GdP-Vizechef Jörg Radek den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Freitag. Es gebe ein "erhebliches Aggressions- und Gefährdungspotential", wenn man massenhaft Neuankömmlinge und ausreisepflichtige Asylbewerber zusammensperre.

"Menschen schauen genau hin, ob der Staat seine Aufgaben wahrnimmt"

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) warnte nach den Krawallen von Ellwangen vor einem Vertrauensverlust in Politik und Staat. "Die Menschen schauen genau hin, ob der Staat seine Aufgaben wahrnimmt" sagte Haseloff der "Welt am Sonntag". Wenn der Eindruck entstehe, "dass die Polizei die Sicherheitslage nicht im Griff hat oder vor einem Mob zurückschreckt, hat das fatale Folgen".

Kritik übte der Ministerpräsident an der Abschiebepraxis. Es könne nicht sein, dass "Staaten ihre Mitbürger nicht wiederaufnehmen oder die Ausstellung von Ausweispapieren nur schleppend verfolgen", sagte er. Er unterstütze Seehofer daher "ausdrücklich" dabei, Ankerzentren für ausreisepflichtige abgelehnte Asylbewerber zu entwickeln.

Gegenwind kommt von der Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. "Masseneinrichtungen sorgen für mehr Stress, der dann zu Überreaktionen führen kann", sagte sie. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) kritisierte: "Ich halte die Kapazität von 1.000 bis 1.500 Flüchtlingen für zu hoch, da es bei dieser Größe viel Konfliktpotenzial geben könnte."

Befürworter: Es gehe um nationale Aufgabe

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer rief die SPD-Führung auf, Bundesländer mit sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung zur Einführung von Ankerzentren zu bewegen. Den Sozialdemokraten müsse klar sein, dass es um eine nationale Aufgabe gehe, sagte sie dem "Tagesspiegel". Ein Großteil der Asylbewerber habe keine Chance auf Anerkennung und müsse deshalb zurückkehren.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wies Kritik an den Plänen zurück. Wer Ankerzentren ablehne, wolle "weniger Ordnung und mehr Zuwanderung", sagte er der "Rheinischen Post". Erst wenn die Identität geklärt und das Verfahren abgeschlossen sei, werde auf die Kommunen verteilt – oder aber direkt abgeschoben. Einer solchen "Politik des Reinwinkens" habe der Koalitionsvertrag eine klare Absage erteilt. "Wer kein Bleiberecht erhält, soll sich in unserem Land gar nicht erst einrichten", sagte der CSU-Politiker.

Drei Viertel der Deutschen für Ankerzentren

Nach einer am Samstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der "Welt" sprachen sich mehr als drei Viertel der Deutschen für die Errichtung von Ankerzentren aus. Die Frage "Sollten 'Ankerzentren' eingerichtet werden, in denen sich Asylbewerber aufhalten müssen, bis über ihren Antrag entschieden wurde?" beantworteten 77 Prozent der Befragten mit Ja. 18 Prozent stimmten gegen das Konzept, fünf Prozent zeigten sich in der Frage unentschlossen.

Am häufigsten sprechen sich Anhänger der AfD (98 Prozent) für die Errichtung von Ankerzentren aus, gefolgt von Anhängern der der FDP (91 Prozent) und der Union (88 Prozent). Mehrheiten für das Konzept finden sich zudem bei den SPD-Anhängern (62 Prozent) und den Anhängern der Linken (53 Prozent). Wähler der Grünen sprechen sich als einzige mehrheitlich (57 Prozent) gegen die Einrichtung solcher Zentren aus.


Horst Seehofer / © Sven Hoppe (dpa)
Horst Seehofer / © Sven Hoppe ( dpa )

Polizeieinsatz im Flüchtlingsheim in Ellwangen / © Stefan Puchner (dpa)
Polizeieinsatz im Flüchtlingsheim in Ellwangen / © Stefan Puchner ( dpa )
Quelle:
KNA