Migration war auch 2017 Dauerthema für die EU

Von Flüchtlingsumverteilung und Familiennachzug

Kein Kompromiss beim europäischen Asylsystem, aber weniger Boote an Italiens Küsten. Was hat 2017 gebracht für die Migrationspolitik? Ein Rückblick auf das vergangene Jahr dokumentiert das Dilemma um die Flüchtlingspolitik.

Autor/in:
Stefanie Stahlhofen, Anna Mertens und Franziska Broich
Flüchtling in einer Meldestelle / © arifoto UG (dpa)
Flüchtling in einer Meldestelle / © arifoto UG ( dpa )

Es gab 2017 keinen Gipfel in Brüssel, bei dem nicht auch das Thema Migration auf der Tagesordnung stand. Wie könnte ein derzeit überlastetes europäisches Asylsystem künftig aussehen? Was bedeuten Solidarität und Verantwortung? Die EU-Ratspräsidentschaften rangen 2017 um Antworten. Kleine Fortschritte gibt es, aber Ergebnisse noch nicht. Doch die Kommission und EU-Ratspräsident Donald Tusk machen nun Druck. Bis Juni 2018 soll ein Kompromiss stehen. Das EU-Parlament hat bereits eine Position.

Streit um Umverteilung der Flüchtlinge

Auf europäischer Ebene dominierte der Streit um die Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland die Debatte. Tschechien, Polen und Ungarn weigerten sich weiterhin, an der Umverteilung teilzunehmen. Anfang Dezember kündigte die Kommission an, sie aus dafür vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Bereits im September hatte der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass die Flüchtlingsumverteilung rechtens sei – auch wenn sie nicht im Konsens von den Ministern beschlossen worden war.

Drastischer Rückgang der Flüchtlingszahlen

Im Juli dann reduzierte sich die Zahl der ankommenden Boote an italienischen Küsten drastisch. Als Hauptgrund für den Rückgang wird ein Abkommen zwischen Italien und Libyen gesehen, demzufolge das Land mit römischer Hilfe Schlepper bekämpfen sowie Migranten an der Weiterreise hindern und zurückführen soll. Private Seenotretter und Hilfsorganisationen jedoch kritisieren Italiens Abkommen mit Libyen, da dies kein sicherer Staat sei. Etliche Seenotrettungen im Mittelmeer stoppten zudem im September ihre Einsätze vor der libyschen Küste, weil Rom die Auflagen für sie verschärfte. Unter anderem sollten sie einen Verhaltenskodex unterzeichnen.

Unhaltbare Zustände in libyschen Flüchtlingszentren

Immer wieder drangen Nachrichten über Vergewaltigungen und Gewalt in den geschlossenen libyschen Flüchtlingszentren in die Medien. Papst Franziskus und andere verlangten nachdrücklich humanitäre Hilfszentren in Libyen. Schließlich beschloss die EU Ende November zusammen mit der UN und der Afrikanischen Union, Menschen aus diesen Zentren zu evakuieren. Wie bei der Neuansiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei soll das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Menschen aussuchen, die in die EU umgesiedelt werden sollen. Die EU will in den kommenden Jahren 50.000 Schutzbedürftige aus Staaten entlang der zentralen Mittelmeerroute aufnehmen. Ein Mitgliedstaat soll für jeden Menschen, den er aufnimmt, 10.000 Euro erhalten.

Legale Wege nach Europa

Für die legalen Wege nach Europa hat sich auch die katholische Gemeinschaft Sant'Egidio 2017 eingesetzt. Nicht nur nach Italien kommen nun Flüchtlinge über humanitäre Korridore, sondern auch nach Frankreich und Belgien. Bisher sind auf diese Weise 1.000 Syrer nach Italien gekommen. In Frankreich sind die ersten der geplanten 500 auch angekommen, in Belgien geht es 2018 los. In Italien kamen Anfang Dezember erstmals auch Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern über den humanitären Korridor.

Papst wird nicht müde für Verständnis zu werben

Papst Franziskus warb auch 2017 für Willkommenskultur und Integration. Zum Jahresbeginn ging ein von Franziskus neu geschaffenes «Entwicklungsministerium» an den Start, Flüchtlinge sind dort Chefsache. Der Papst würdigte Italiens Engagement und rief andere Länder zur Unterstützung auf, räumte jedoch ein, eine legitime Aufnahmegrenze sei dann erreicht, wenn eine «Gefahr der Nichtintegration» bestehe. Im Oktober besuchte er in Bologna ein Aufnahmezentrum für Migranten. Weitaus mehr Beachtung fand jedoch sein Treffen mit Rohingya-Flüchtlingen, die aus Myanmar vertrieben wurden, Anfang Dezember in Bangladesch.

Töne aus deutscher Politik gegenüber Flüchtlingen werden härter

Zankapfel der deutschen Flüchtlingspolitik in diesem Jahr war der Familiennachzug für subsidiär Geschützte. Nachdem die Regierung vor gut eineinhalb Jahren beschlossen hatte, den Nachzug für zwei Jahre auszusetzen, entbrannte schon vor der Bundestagswahl ein Streit über das weitere Vorgehen. CSU und FDP treten vehement für eine Verlängerung der Aussetzung ein. Dabei sind aber immer wieder Ausnahmen und Härtefälle im Gespräch. Die Kirchen und Hilfswerke pochen auf die Zusammenführung der Familie und auch Wissenschaftler sehen die Familie als Baustein zur Integration. Wie viele Familienmitglieder genau nachkommen könnten, ist offen. Die Gesamtzahl der Schutzsuchenden sind im Vergleich zum Vorjahr bislang überschaubar.

Viele Probleme bleiben

Bei der Integration hapert es weiter an vielen Stellen wie etwa bei der Beschaffung von Wohnraum. Ein weiterer Streitpunkt zwischen den Parteien und den Wohlfahrtsverbänden ist die Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern in Krisenregionen wie Afghanistan. Um Rückführungen wird es 2018 wahrscheinlich verstärkt gehen. Die EU-Kommission fordert mehr Maßnahmen von den Mitgliedstaaten, um die Zahl der Rückführungen zu erhöhen. Im September veröffentlichte sie ein Handbuch zu Rückführungen. Unter anderem wirbt sie für mehr Abschiebehaft.


Papst in einem Flüchtlingszentrum in Bologna / © Alessandro Bianchi (dpa)
Papst in einem Flüchtlingszentrum in Bologna / © Alessandro Bianchi ( dpa )

Flüchtlingsboot kentert vor Libyen  / © Marta Soszynska (dpa)
Flüchtlingsboot kentert vor Libyen / © Marta Soszynska ( dpa )

Flüchtlinge und Ehrenamtliche backen / © Markus Scholz (dpa)
Flüchtlinge und Ehrenamtliche backen / © Markus Scholz ( dpa )
Quelle:
KNA