Was passiert mit Flüchtlingen in Seenot, wenn Italien seine Häfen schließt?

"40 oder 60 Stunden bis zur nächsten Küste"

Italien erwägt eine Schließung seiner Häfen für Schiffe, die nicht unter italienischer Flagge fahren. Was das für die Flüchtlinge in Seenot und für die Arbeit der Retter bedeutet, erklärt Mathias Dentler von der Hilfsorganisation MOAS.

Flüchtlingsrettung / © Jason Florio Moas.EU
Flüchtlingsrettung / © Jason Florio Moas.EU

domradio.de: Unter welcher Flagge fahren die Schiffe von MOAS?

Mathias Dentler (Migrant Offshore Aid Station, Stiftung für Rettung auf See): Wir fahren unter der Fahne von Belize. Als wir 2014 anfingen eine Seenot-Rettungsstation für Flüchtlinge aufzustellen, war kein europäisches Land bereit uns flaggenmäßig zu registrieren, so dass wir dann nach Zentralamerika ausgeflaggt sind.

domradio.de: Wurden viele Menschen, die Sie bisher retten konnten in Italien an Land gebracht?

Dentler: Die Geretteten im zentralen Mittelmeer werden überwiegend nach Italien gebracht. Wobei wir nicht frei in der Entscheidung sind, wo wir Flüchtlinge hinbringen. Wir retten sie nach internationalem Seerecht und nach internationalem Menschenrecht. Wir nehmen die Flüchtlinge auf Anweisung der offiziellen Seenot-Rettungsbehörden an Bord und können sie auch nur da hinbringen, wo die Anweisung zur Anlandung gegeben wird.

domradio.de: Wenn Italien ernst machen würde und Schiffe nicht in die Häfen lässt, die nicht unter italienischer Flagge unterwegs sind, müssten Sie dann viel weiter fahren?

Dentler: Ja, mit Sicherheit. Wir werden unsere Arbeit aber auf jeden Fall fortsetzen und  weiter Menschen retten in internationalen Gewässern. Die offiziellen Seenot-Rettungsbehörden sind auch weiterhin verpflichtet das zu koordinieren. Es würde allerdings bedeuten, dass wir nicht mehr in den nächsten sicheren Hafen nach Italien, sondern unter Umständen nach Griechenland oder Frankreich fahren müssten oder noch weiter. Für die Flüchtlinge wäre das natürlich sehr tragisch. Da spielen sich ja entsetzliche Szenen ab auf der Flucht auf den Schiffen. Und auch auf unserem Schiff haben wir Schwerverletzte und Tote an Bord und Menschen, die vor kurzem ihre Angehörigen verloren haben. Und für die heißt es dann, nicht mehr 20 Stunden bis zur nächsten Küste zu fahren sondern 40 oder 60 Stunden.

domradio.de: Italien begründet dieses Vorhaben damit, dass die "Grenze der Nachhaltigkeit erreicht sei", so heißt es zumindest im italienischen Fernsehen. Was mag das bedeuten?

Dentler: Nach unserer Beobachtung hat Italien in den letzten Jahren Hunderttausende von Flüchtlingen aufgenommen. Für unsere Arbeit lief das immer hervorragend. Es ist in Italien gut organisiert, die Leute werden medizinisch versorgt, sie werden registriert und bekommen Unterkunft zur Verfügung gestellt. Und es ist nicht nur gut organisiert, sondern es auch noch menschlich. Aber klar, wenn Italien damit alleine steht, ist es auch verständlich, dass da Unmut entsteht und Druck auf die anderen Länder der EU ausgeübt wird.

domradio.de: Die EU hat bereits reagiert und höhere Finanzmittel in Aussicht gestellt. Ist es damit weniger wahrscheinlich, dass es zu dieser Hafenschließung kommen könnte?

Dentler: Das kann ich nicht einschätzen. Das ist eine politische Sache. Es geht sicher auch darum, wo die Flüchtlinge dann, nachdem sie aufgenommen wurden, hinkommen. Sie können ja nicht alle in Italien bleiben. Speziell Sizilien, wo Hunderttausende angelandet werden. Ich hoffe, dass wir Italien auch in Zukunft anlanden können. Ich hoffe es zum einen für unsere Arbeit - je schneller wir Leute wieder an Land bringen, umso schneller können wir wieder rausfahren und Ausschau halten nach Schiffen in Seenot. Und ich hoffe es vor allem für die Flüchtlinge, dass sie Italien weiterhin als nächsten sicheren Hafen haben.

domradio.de: Wenn man das hier so hört: Italien macht möglicherweise die Häfen dicht für Schiffe, die nicht unter italienischer Flagge fahren, da denkt man, das können die doch nicht machen: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie solche Meldungen hören?

Dentler: Das Erste, woran ich gedacht habe war, dass Ende der dreißiger Jahre auch Schiffe mit jüdischen Flüchtlingen aus Europa in den USA und Kuba abgewiesen wurden, die dann wieder zurück nach Europa mussten. Solche schlimmen Sachen fallen mir dazu ein. Es ist alles denkbar und man muss auf alles vorbereitet sein und felsenfest in seiner Überzeugung, dass niemand auf See sterben sollte. Und das werden wir tun und unsere Arbeit fortsetzen.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR