Die ersten Schritte für den Syrer Othman Shiko

Arbeit statt an der Front

Der junge Syrer Othman Shiko ist aus Syrien geflüchtet und sucht für sich eine Perspektive. Die Caritas hilft ihm bei den ersten Schritten und begleitet ihn dabei, seinen Traumjob zu finden.

Geflüchteter Othman Shiko in der Radstation Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Geflüchteter Othman Shiko in der Radstation Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

Es ist Donnerstagmittag in Bonn. In der kleinen Werkstatthalle der Radstation neben dem Hauptbahnhof begutachtet Othman Shiko ein von der Decke baumelndes Fahrrad. Er dreht das Hinterrad behutsam, aber mit Schwung. Gerade erst hat er einen neuen Reifen aufgezogen. Sein prüfender Blick kontrolliert, ob es sich auch gleichmäßig bewegt. Tut es.

Der 21-Jährige hat noch einige Fahrräder vor sich. Wie in den Frühlings- und Sommermonaten üblich, ist in der Radstation viel zu tun. Auch seine jungen Kollegen wechseln Reifen und stellen Bremsen ein.

An der Front in Syrien

Othman ist einer der 35 Mitarbeiter der Radstation der Caritas in Bonn. Dabei sollte der Syrer eigentlich in seiner Heimat an der Front stehen und kämpfen, so wollte es die Regierung. Er aber hat sich dagegen entschieden. Schließlich seien "die Leute seine Schwestern und seine Brüder, seine Freunde." Zudem: Jemanden zu töten, kommt für Othman nicht infrage. Das kann er als Muslim nicht mit seinem Glauben vereinbaren.

Er weigerte sich, den Soldatendienst anzutreten. Die syrische Regierung drohte mit Strafen. 2016 packte er sein Hab und Gut und floh nach Deutschland, genauso wie seine Eltern und fünf seiner sechs Geschwister.

Fahrrad fahren und Deutsch lernen

Jetzt arbeitet er in der Radstation. Othman freut sich, dass die Aufgaben so verschieden sind: Er nimmt die Fahrräder entgegen, parkt sie, kassiert, und hilft telefonisch bei Problemen, setzt Termine.

Besonders die handwerklichen Kniffe hat er gerne und schnell gelernt – ob die Beleuchtung an einem Fahrrad wiederzubeleben, Schläuche, Mäntel und Ketten zu wechseln oder das Laufrad zu zentrieren. Der Drahtesel ist zu seinem Element geworden. Und das, obwohl er in Syrien nie Fahrradfahren gelernt hat. Erst die Mitarbeiter in der Radstation haben ihm gezeigt, wie das geht.

Und auch die Begrifflichkeiten waren gerade zu Beginn und mit wenig Deutschkenntnissen schwierig. Doch mittlerweile weiß er bei "Bremse erneuern" oder "Laufrad zentrieren" ganz genau, was zu tun ist.

Das war mühevolle Arbeit. Für ihn ist es heute noch hilfreich, dass die Werkzeuge, die ordentlich an der Wand hängen, beschriftet sind. So kann Othman sich die Namen leichter merken. Auf einem großen weißen Zettel im Eingangsbereich steht mit schwarzer Schrift: "Bitte langsam sprechen." Denn der junge Mann versteht die deutsche Sprache zwar gut, doch wenn die Kunden zu schnell ihre Wünsche äußern, kommt er noch nicht so mit.

"Wenn man keine Sprache hat, hat man nichts."

Im Gespräch ringt er nach Worten. Er versteht sein Gegenüber, möchte etwas sagen, aber kann sich noch nicht so gut ausdrücken. Es wirkt, als sei er fast ein bisschen enttäuscht, dass ihm seine Gedanken nicht so über die Lippen kommen, wie er das gerne hätte. Er hat die deutsche Sprache von den Kollegen gelernt. Aber vor allem das Kundengespräch ist sehr lehrreich. Seine Muttersprache ist schließlich Kurdisch, außerdem spricht er Arabisch.

In der Radstation arbeiten neben Othman viele andere Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren. Manche sind Zugewanderte wie er, manche sind junge Deutsche. Während die Jugendlichen teilweise wenig Erfahrung im Arbeitsablauf und Berufsleben mitbringen, fehlt es den Geflüchteten oft an Sprachkenntnissen.

Die Leiterin der Radstation, Bettina Kunze, fühlt sich aber dadurch im positiven Sinne herausgefordert. Sie betreut in Einrichtungen wie der Radstation nicht nur Othman, sondern insgesamt 53 Jugendliche.

Eine Zwischenstation auf dem Berufsweg

Sie beobachtet, dass es bei den Kunden sehr gut ankommt, dass viele Zugewanderte in der Radstation mitarbeiten, berichtet Bettina Kunze. "Sie profitieren auch davon, dass die so hilfsbereit und zugewandt sind. Und der persönliche Kontakt ist toll, für uns alle."

Für die Jugendlichen sei die Arbeit aber nur eine Zwischenstation. Gemeinsam mit ihrer Kollegin, der Sozialpädagogin Doris Hinz, bereitet die Leiterin die Jugendlichen auf das Leben nach der Radstation vor. Nicht nur der Sprachkurs, sondern auch persönliche Übungsstunden gehören dazu. Damit sie bald fließend Deutsch sprechen und lesen können.

Außerdem begleitet Doris Hinz die Jugendlichen zum Beispiel bei einem Arzttermin oder auf dem Weg zu einem Amt oder zur Studierendenberatung. Mithilfe von Videos, die zeigen, welche Berufe es gibt, sucht sie nach den Eignungen und Interessen der Jugendlichen. Othman hat auf diese Weise viele Möglichkeiten kennengelernt, die für ihn infrage kommen könnten.

In seiner Heimat, in Syrien, hat er zwar schon einmal als Koch gearbeitet. Aber in den deutschen Arbeitsmarkt musste er sich erst einmal einfinden. Die Erfahrungen in der Radstation in Bonn sollen helfen, einen Beruf zu finden und selbstbestimmt zu leben.

Zuverlässig, motiviert und höflich

Für Leiterin Bettina Kunze ist es wesentlich, dass die Geflüchteten verstehen, was Arbeitgeber in Deutschland erwarten. Nur so könnten sie sich beruflich orientieren. Dabei hilft in der Werkstatt auch die Meisterin im Zweiradmechaniker-Handwerk, Sylvie Biermann.

Sie arbeitet gerne mit den Jugendlichen zusammen und ihr gefällt die Arbeitsmoral der jungen Männer: "Der große Vorteil ist, dass sie sehr zuverlässig sind, pünktlich zur Arbeit erscheinen, durchgehend arbeiten. Man muss sie also nicht aus den Pausen wieder nötigen, in die Werkstatt zu kommen. Sie arbeiten konzentriert, sind gewillt, sehr motiviert und alle sehr höflich."

Eine Frau als Chefin

Die Meisterin war zunächst nicht sicher, ob sich die heranwachsenden Männer – wie Othman – etwas von einer Frau in der Werkstatt sagen lassen. Häufig seien sie etwas irritiert, wenn Sylvie Biermann in die Werkstatt kommt und sich vorstellt. Sie vermutet, die Geflüchteten denken, sie sei auch Sozialpädagogin oder Sozialarbeiterin.

Wenn sie dann mit an den Fahrrädern schraube und auch nicht mehr aus der Werkstatt rausgehe, sondern den ganzen Tag da sei, würde ihnen klar, dass sie die fachliche Kompetenz hat. Deshalb lassen sich die Geflüchteten gerne was von der Meisterin zeigen und akzeptieren sie als Chefin.

In den Pausen oder beim Fahrrad-Polieren unterhält sie sich manchmal mit Othman. Dabei erinnert sie sich auch daran, dass sie über die Rolle der Frauen gesprochen haben und was Frauen in Deutschland alles machen können. Oder es ging darum, dass sie allein so etwas wie das Wahlrecht gut findet, es aber für die Männer in unserer Gesellschaft keine Gefahr darstelle. Sylvie Biermann freut sich dann: "Ich merke, dass sie sich Gedanken darüber machen."

Idee von einer Zukunft

Auch Othman denkt viel nach, vor allem darüber, wie es weitergehen wird. Er will heiraten und eine Familie gründen. "Aber zunächst arbeiten, einen guten Job finden, den Führerschein machen", erzählt er und sieht hoffnungsvoll aus.

Er hat eine Idee von seiner Zukunft. Weit weg von zu Hause. Othman will Fitnesstrainer werden und hat sich auf eine Ausbildung beworben. Er ist ganz zuversichtlich, dass er den Traumjob für sich gefunden hat.


Geflüchteter Othman Shiko lernt die Namen des Werkzeugs / © Harald Oppitz (KNA)
Geflüchteter Othman Shiko lernt die Namen des Werkzeugs / © Harald Oppitz ( KNA )

Meisterin Sylvie Biermann mit Geflüchtetem Othman Shiko / © Harald Oppitz (KNA)
Meisterin Sylvie Biermann mit Geflüchtetem Othman Shiko / © Harald Oppitz ( KNA )

Bettina Kunze ist Leiterin der Radstation in Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Bettina Kunze ist Leiterin der Radstation in Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR
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