Der "Fluchtpunkt Kürten" vermittelt Flüchtlingen Arbeit

"Eine Win-Win-Situation für alle"

Im Bergischen Land kümmern sich Ehrenamtliche neben anderen Dingen auch darum, dass Flüchtlinge in Arbeit kommen. Nun ist das von einer katholischen Gemeinde mitinitiierte Projekt für den Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin nominiert.

Albanischer Flüchtling macht ein Praktikum in einer Entsorgungsfirma in Kürten  / © Harald Oppitz (dpa)
Albanischer Flüchtling macht ein Praktikum in einer Entsorgungsfirma in Kürten / © Harald Oppitz ( dpa )

Ralf Neuenhaus sucht dringend zupackende Männer, aber kaum ein Deutscher will die "Drecksarbeit" machen, die er im Angebot hat: Jobs bei der Müllabfuhr und anderer Abfallentsorgung. Nun hat der Geschäftsführer der gleichnamigen Entsorgungsfirma im bergischen Kürten Helfer gefunden - Flüchtlinge, die über den von der katholischen Gemeinde St. Marien mitgetragenen "Fluchtpunkt Kürten" vermittelt wurden. 

Mohsin (31) hilft seit einem Monat als Lader auf einem Müllwagen mit, Baljit (38) und Marius (27) packen an der Müllpresse mit an und kehren in der Halle Abfall zusammen. Seit zwei Jahren sind die drei Männer aus Bangladesch, Albanien und Indien in Deutschland. Aber erst jetzt haben sie die Gelegenheit zu zeigen, dass sie arbeiten können und wollen. Um sie kümmern sich ehrenamtliche Helfer des "Fluchtpunkt Kürten".  

Etwa Stefanie Marx-Bleikertz, die als Patin hilft, Flüchtlingen das Einleben in Deutschland zu erleichtern. Die 49-Jährige ist für sie unter anderem Ansprechpartnerin bei allen Alltagsfragen und Bindeglied zum Arbeitsbereich "Jobs für Flüchtlinge". Gegründet hat diesen Arbeitsbereich Stephan Baake im Herbst 2015. Seitdem leitet der 63-Jährige ein Team von sechs Ehrenamtlichen, das sich um Themen rund um Praktika und Jobs kümmert.

Flüchtlinge als gefragte Arbeitnehmer

Zuerst haben die Helfer 2016 alle 300 Flüchtlinge interviewt und ein individuelles Profil mit ihren für den Arbeitsmarkt relevanten Fähigkeiten erstellt. Parallel dazu schrieb der Kürtener Bürgermeister 400 Briefe an alle Handwerker und Gewerbetreibenden in der Umgebung und bat um Kooperation bei der Arbeitsvermittlung. "Die Bereitschaft der Arbeitgeber, Flüchtlinge zu beschäftigen, ist erstaunlich groß", berichtet Baake. Mitunter schreckten Unternehmen aber vor der damit verbundenen Bürokratie in Jobcenter und Behörden zurück. "Wir sind schon öfter an bürokratischen Hindernissen gescheitert", beklagt auch Neuenhaus. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er in seinem Betrieb schon mehr Flüchtlingen eine Chance gegeben. "Das Problem ist die Genehmigung vom Ausländeramt", erläutert Baake, "diese benötigt, meist mehrere Wochen. Die meisten Jobs sind weg, wenn die Arbeitserlaubnis eintrifft."

Die gute Kooperation mit der Agentur für Arbeit und seine langjährige Erfahrung im Projektmanagement führten zu einer für beide Seiten effektiveren Lösung: Schnell sind potenzielle Kandidaten für Stellenangebote gefunden und Genehmigungen für eine Kennenlernenphase beim Arbeitgeber beschafft. So kann die Stelle sofort besetzt und nach zwei bis drei Wochen mit dem Arbeitgeber über ein Arbeitsverhältnis entschieden werden.

Hohe Erfolgsquote

Die Erfolgsquote liegt bei fast 100 Prozent, und mit dieser Vorgehensweise musste er bei Ralf Neuenhaus und seinem Team nicht lange werben. 2016 haben so bereits fünf Flüchtlinge in dem Entsorgungsbetrieb einen Arbeitsvertrag bekommen, nachdem sie erfolgreich ein Praktikum absolviert hatten. Auch für die drei neuen Praktikanten sieht es gut aus - sie werden eine Vollzeitstelle bekommen. Mohsin ist inzwischen als "Lader" eingestellt, weil er ein gutes technisches Verständnis hat und zuverlässig ist.

"Flüchtlinge nehmen den Deutschen die Arbeit weg" - von Stammtisch- und Wahlkampfparolen wie diesen hält Geschäftsführer Neuenhaus rein gar nichts. Er hat eine andere Erfahrung gemacht: Auf Bewerbergesuche über die Arbeitsagentur tendiere das Feedback unter Deutschen gegen Null. "Man findet schon Leute - aber nicht mit der Zuverlässigkeit und Motivation." Die Vermittlung von Flüchtlingen in Praktika - mit der Aussicht auf einen Job - sei eine "Win-Win-Situation für alle".

Schon während der Jugoslawienkriege habe seine Firma in den 1990er Jahren Asylbewerber in Arbeit gebracht. Einige, die damals als Lader angefangen haben, haben sich bei Neuenhaus hochgearbeitet, etwa zum LKW-Fahrer. "Die Anfänge sind wie damals."

Noch Verbesserungsmöglichkeiten

"Man merkt, die Leute wollen wirklich arbeiten", sagt auch Thomas Eckfeld, der sich als Bereichsleiter für die Entsorgung um die neuen ausländischen Mitarbeiter kümmert und sie einweist. "Man kann auch mit Gesten die Schüttung eines Müllfahrzeugs erklären", weiß Eckfeld.

Gleichwohl wünscht sich der 49-Jährige bessere Sprachkenntnisse, "manche verstehen noch überhaupt gar nichts". Die Arbeit sei nicht schwer, aber die Rahmenbedingungen - Lärm, Schmutz, körperlich Anstrengung, Widrigkeiten des Wetters - seien hart und nicht jedermanns Sache.

Der Enthusiasmus der Firmen und der Ehrenamtlichen wird zunehmend durch Ablehnungsbescheide des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gebremst. Wenn ein Asylverfahren abgelehnt oder das Aufenthaltsrecht widerrufen wird, erlischt in beiden Fällen mit sofortiger Wirkung die Arbeitserlaubnis. "Diese Leute fehlen uns dann; sie sind fest im Team eingeplant und müssen von jetzt auf gleich ersetzt werden."

Rechtsunsicherheit "ein Riesenproblem"

Und, schlimmer noch: Den Unternehmen droht ein Bußgeld, wenn sie unwissend einen abgelehnten Flüchtling beschäftigten. Die Rechtsunsicherheit ist für Ralf Neuenhaus "ein Riesenproblem". Schließlich droht er, wegen vermeintlich illegaler Beschäftigung "angezählt" zu werden. Schlimmstenfalls bekommt sein Unternehmen einen Eintrag ins zentrale Gewerberegister, verbunden mit dem Entzug öffentlicher Aufträge.

Birgit Oberkötter kennt solche Fälle. Sie ist als Ehrenamtskoordinatorin seit Sommer 2016 in der katholischen Pfarrgemeinde St. Marien Kürten tätig. Ihre Stelle wird von der "Aktion Neue Nachbarn" im Erzbistum Köln mitfinanziert. Sie berichtet von Gael, der seit vier Jahren in Kürten ist und einer der ersten war, der von der Firma Neuenhaus einen Arbeitsvertrag bekam. Ausschlaggebend war auch, dass der 31-jährige Afrikaner aus Kongo-Brazzaville es innerhalb kürzester Zeit mit seinem offenen und freundlichen Wesen schaffte, sich so unverzichtbar zu machen, dass ein Müllwagenfahrer nur noch mit ihm arbeiten wollte.

Gael hat nun - wie viele andere Menschen aus sicheren Herkunftsländern auch - einen Ablehnungsbescheid erhalten. "Diese werden aus dem Versuch herausgerissen, sich ein neues Leben aufzubauen", beklagt Oberkötter. "Alle unsere Bemühungen und die der Unternehmen werden einfach zunichte gemacht." Sie ist deshalb froh, dass sich im Fluchtpunkt Kürten genügend pfiffige Leute engagieren.

Kritik an Integrationsgesetzen

Michael Weinmann (48) ist freier Journalist und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit und den Internetauftritt. Zusammen mit Stephan Baake und Evelyn Mathias, einer der über 160 Ehrenamtlichen, hat er eine Petition zur Änderung des Integrationsgesetzes gestartet. Hiermit sollen Asylbewerber mit festem Arbeitsvertrag und/oder schulpflichtigen Kindern vor der Abschiebung bewahrt werden.

Der Fluchtpunkt Kürten hofft so ein Zeichen zu setzen, dass Geflüchteten mit Engagement und gutem Willen auch langfristig eine Perspektive geboten werden kann.  Mohsin, der in Bangladesch als Lackierer und Taxifahrer gearbeitet hat, freut sich derweil. Jetzt kann er in Deutschland endlich sein erstes Geld verdienen. Zu lange sei er zum Nichtstun verdammt gewesen, findet der schüchterne junge Mann. Denn er möchte seine Familie in der Heimat unterstützen; nachdem sein Vater und Bruder ermordet wurden, setzten seine Mutter und Schwester alle Hoffnungen in ihn.

Stephan Baake und sein Team sind froh über jeden Arbeitsvertrag, der zustandekommt. Über 70 sind es bisher, davon waren 26 befristet, da es sich um Saisonarbeiten oder kurzfristigen Personalbedarf handelte.

Zukunftsweichen

"Ein nächster wichtiger Schritt sind Ausbildungsplätze", erläutert Baake seine Strategie. Zusammen mit den Arbeitgebern und den Jobcenter werden gerade wichtige Weichen gestellt. Auch dies sei ein wichtiger Schritt in die Zukunft und die gelungene Integration der Zuwanderer. Patin Marx-Bleikertz ist optimistisch, dass der Initiative auch das gelingen wird: Immerhin gibt es inzwischen Zusagen für zwölf Ausbildungsplätze für junge Flüchtlinge.


Quelle:
KNA