Erzbistum Köln zur Bildung und Qualifizierung von Flüchtlingen

"Die Sprache ist die Eingangstür"

Wie steht es um den Bildungsstand der Flüchtlinge in Deutschland? Genaue Daten gibt es nicht, die Bevölkerung schätzt ihn eher gering ein. Wichtig sei vor allem, Sprachfähigkeit herzustellen, mahnt Dr. Peter Scharr vom Erzbistum Köln.

Flüchtlinge im Deutschunterricht / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Flüchtlinge im Deutschunterricht / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

domradio.de: Das Münchner ifo-Institut hat untersucht, wie der Bildungsstand der Flüchtlinge in der deutschen Bevölkerung eingeschätzt wird. Gab es für Sie Überraschungen und Auffälligkeiten in dem Bericht?

Dr. Peter Scharr (Leiter der Abteilung Bildung und Dialog im Erzbistum Köln): Überraschungen gab es für mich nicht. Das Ergebnis fasst das zusammen, was in den letzten Monaten diskutiert worden ist. Es geht um die Fragen der sprachlichen und beruflichen Qualifikation von Flüchtlingen, um bildungspolitische Maßnahmen, um die Frage der Schulpflicht, um Möglichkeiten der Integration, der Maßnahmen, die von staatlicher Seite ergriffen werden müssen. Wichtig ist, an der Stelle nochmal zu betonen: Es geht hier um ein Meinungsbild innerhalb der Bevölkerung und nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung. Von daher muss man in der Bewertung dieses Berichts sehr genau diese beiden Dinge voneinander trennen. 

domradio.de: Die Umfrage zeigt, dass drei Viertel der Deutschen den durchschnittlichen Bildungsstand der Flüchtlinge als niedrig einschätzen und dementsprechend auch nicht daran glauben, dass die Flüchtlinge dabei helfen können, etwa den Fachkräftemangel der Wirtschaft zu verringern. Sie bieten ja über das Bildungswerk der Erzdiözese Köln Kurse für Flüchtlinge an, haben da einige Erfahrung gesammelt. Wie würden Sie die Lage einschätzen? 

Scharr: Ich vermute, dass diese Einschätzung weitgehend richtig ist. Der Bericht betont immer wieder einschränkend, dass es im Moment keine empirischen Befunde über den tatsächlichen Bildungsstand der Flüchtlinge gibt. Das ist wichtig zu wissen. Die Flüchtlinge kommen ja ins Asylverfahren und erst in diesem Verfahren werden die Ausbildungsabschlüsse erhoben und entsprechende Maßnahmen vermittelt. In unserer konkreten Arbeit mit den Flüchtlingen schalten wir daher immer einen Einstufungstest voraus: Welches Sprachniveau ist vorhanden? Sind die Flüchtlinge überhaupt alphabetisiert, also, können sie lesen oder schreiben? Und dann müssen wir entsprechend unsere Kurse aufbauen und die Flüchtlinge in die passenden Kurse eingliedern. 

domradio.de: Anfangs hieß es ja, es kommen nur hochausgebildete Menschen - etwa Ärzte - zu uns. Dann kam in der öffentlichen Wahrnehmung der Richtungswechsel hin zur Annahme: Die meisten sind Analphabeten. Liegt die Wahrheit in der Mitte?

Scharr: Die Wahrheit liegt vielleicht nicht in der Mitte, aber das ganze Spektrum ist da. Es gibt sehr viele Menschen - das stellen wir in unseren Kursen fest - die tatsächlich nicht lesen und schreiben können und es gibt hochqualifizierte Akademiker. Und dazwischen gibt es auch alles: Es gibt Menschen, die einen beruflichen Abschluss haben, es gibt Menschen, die keinen haben. Wir versuchen praktisch, passend an den verschiedenen Stellen Angebote zu entwickeln und die Flüchtlinge in die verschiedenen Kurse zu bringen. Dabei sind wir natürlich auch ein Stück weit eingeschränkt, denn wir stoßen sehr schnell an die Grenzen von Personal und finanziellen Mitteln, wenn wir all diese Kurse, die nötig wären, durchführen würden.

Es gibt mittlerweile von der Bundesregierung zusätzliche Mittel für die sogenannten BAMF-Integrationskurse (BAMF ist die Abkürzung für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. der Redaktion). Die bekommen aber nur die Flüchtlinge, die eine positive Bleibeperspektive haben. Also die, die aus Ländern kommen, aus denen normalerweise politisches Asyl beantragt werden kann. Alle anderen sind zunächst einmal weitgehend außerhalb einer staatlichen Förderung. Und gerade um diese Menschen wollen wir uns kümmern - also um jene, die zunächst mal kein Anrecht auf einen staatlich finanzierten Sprachkurs haben.

domradio.de: Wie kann man es denn schaffen, die, die kommen, zu integrieren? 

Scharr: In erster Linie muss man versuchen, eine Sprachfähigkeit in Deutschland herzustellen. Der Schlüssel zur Integration ist zunächst einmal die Sprache. Sie reicht natürlich nicht aus. Es muss ein gesellschaftliches Klima herrschen, das Zuwanderer willkommen heißt. Aber die Sprache ist im Prinzip die Eingangstür, um das zu erreichen. Wir müssen - und das versuchen wir mit unseren Angeboten - zunächst einmal eine grundlegende Alphabetisierung schaffen. Dann müssen wir Sprachkurse schaffen, die nach und nach aufeinander aufbauen und so einen Weg in eine Ausbildung und dann irgendwann in eine Festanstellung ermöglichen.

Wir arbeiten hier im Bistum mit den verschiedenen Trägern zusammen, die an der Stelle aktiv sind. Das beginnt eigentlich schon im Kindergarten. Die Kindertagesstätten bemühen sich um die Integration von Flüchtlingskindern. Unsere Schulen versuchen, Flüchtlingskinder in die bestehenden Klassen aufzunehmen, so dass nicht isolierte Flüchtlingsklassen entstehen. Dann gibt es die Berufsbildungswerke - hier kann man in erster Linie das Kolping-Bildungswerk nennen. Die versuchen, eine Qualifizierungsmaßnahme für Flüchtlinge auf die Beine zu stellen. Und dann gibt es natürlich den breiten Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung, für den ich stehe. Wir versuchen zum einen, die Sprachqualifizierung durchzuführen und zum anderen in Zusammenarbeit mit den Berufsbildungswerken, auch eine berufliche Qualifizierung zu ermöglichen. Dazu gibt es jetzt erste Modelle hier im Erzbistum Köln, aber das könnte natürlich noch viel stärker ausgebaut werden. Dazu brauchen wir staatliche Unterstützung. Das geht allein aus kirchenlichen Mitteln nicht. Wenn man darüber nachdenkt, dass eine Million Menschen integriert werden muss, kann man sich ungefähr vorstellen, welche gesellschaftliche Aufgabe zunächst im Ausbildungsbereich und dann im beruflichen Sektor erforderlich ist.

domradio.de: Der Staat kümmert sich also um diejenigen, von denen man weiß: Die können bleiben, es ist ziemlich sicher, dass sie Asyl bekommen. Nimmt die Kirche sich sozusagen derer an, wo das nicht so sicher ist?

Scharr: Die Kirche nimmt sich ganz bewusst dieser Menschen an. Die Kirche allein ist aber zu schwach - nicht in dem Sinne, dass eine Kompetenz fehlt, aber es fehlt wirklich an Geld und Personal, um das zu bewerkstelligen. Von daher sind wir auch auf staatliche Unterstützung angewiesen. Das Modell, dass wir in Deutschland fahren, ist im Grundsatz richtig. Der Staat verteilt Geld an verschiedene Träger der Aus- und Weiterbildung. Und diese Träger führen dann die erforderlichen Maßnahmen durch. Von daher gibt es an vielen Stellen hier im Erzbistum auch eine gute Zusammenarbeit mit den kommunalen Stellen und mit der Bundesagentur für Migration und Flüchtlinge, die das Geld für die BAMF-Kurse zur Verfügung stellt. Wir sind also in beiden Bereichen tätig.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR