Günther Beckstein zur deutschen Flüchtlingspolitik

"Nicht selbst überfordern"

Günther Beckstein war Ministerpräsident von Bayern und Vize-Präses der Synode der Evangelischen Kirche. Im Interview fordert er einen "anständigen Umgang" mit Flüchtlingen aber auch eine Begrenzung der Zahlen. Beim finanziellen Einsatz der Kirchen sieht er "Luft nach oben".

 (DR)

domradio.de: Was müssen die Deutschen tun, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen, was müssen aber auch die Flüchtlinge tun, die zu uns kommen?

Günther Beckstein (Ministerpräsident Bayern a.D.): Die Menschen, die uns vor die Türe gelegt sind, so wie Lazarus dem Reichen vor die Türe gelegt war, müssen wir aufnehmen, das ist völlig klar. Wir bemühen uns, ihnen ein Zuhause zu geben, wir müssen auch Verständnis für diese schweren Schicksale haben. Völlig unabhängig vom Aufenthaltsstatus sind das geschundene Menschen, die schlimme Lebensläufe hinter sich haben, und wir müssen sie in einer anständigen Weise aufnehmen.

Allerdings müssen wir natürlich auch erwarten, dass diejenigen, die dauerhaft bleiben, auch akzeptieren, dass sie in ein Land kommen, das geprägt ist vom Christentum, von der Aufklärung, vom Humanismus. Ein Land, das stolz ist auf seine eine Verfassungstradition, auf die Freiheit, auch die des Glaubens. Ein Land der Gleichberechtigung. Wir müssen erwarten können, dass sich die Menschen, die zu uns kommen, ein Stück weit in unsere Gesellschaft einfügen und unser Land nicht verändern wollen. Sie müssen das, was sie an diesem Land so schätzen, weswegen sie zu uns gekommen sind, auch ganz bewusst annehmen.

Allerdings müssen wir selbstverständlich auch zu einer Begrenzung der Zahlen kommen. In der Diakonie gibt es das Prinzip, dass man sich nicht selbst überfordern darf. Und das ist ganz offensichtlich, dass bei uns in Bayern, wo wir die Zahlen viel unmittelbarer sehen, gewisse Erscheinungen der Überforderung da sind. Wenn man sieht, dass in vielen Turnhallen kein Sport mehr stattfindet, wenn man sich die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt anschaut. Deswegen sage ich: Die Humanität ist entscheidend für unser Land, aber wir müssen zu einer Begrenzung kommen.

domradio.de: Welche Rolle spielen da die Kirchen?

Beckstein: Die Kirchen haben zunächst mal eine ganz wichtige pädagogische Funktion. Sie machen darauf aufmerksam, dass die Nächstenliebe nicht nur auf den Menschen begrenzt ist, der schon immer neben uns gewohnt hat. Sondern, dass auch die Aufnahme der Fremden eine zentrale Botschaft ist. Papst Franziskus und die Bischöfe der katholischen Kirche sagen das ganz genau so wie die Vertreter der evangelischen Kirche.

Die Kirchen haben aber auch die Aufgabe, die vielen Ehrenamtlichen, auch aus den Gemeinden, dabei zu unterstützen. Die Kirche muss sie einerseits befähigen zu helfen, aber auch davor bewahren, dass sie sich überarbeiten und ausbrennen. 

Allerdings haben die Kirchen auch die Aufgabe, mit eigenen finanziellen Mitteln zu helfen. Deutschland hat im weltweiten Vergleich eine der reichsten Kirchen überhaupt. Man kann nicht predigen, dass die anderen große Opfer bringen, ohne dass man das nicht selber auch tut. Da sehe ich für beide großen Kirchen in Deutschland noch Luft nach oben. Wobei ich mir dabei auch kein endgültiges Urteil erlauben kann. Das, was allerdings die Ehrenamtlichen schaffen, verdient viel Respekt und ist auch eine klare Botschaft an die islamischen Länder.

domradio.de: Gerade Bayern leidet im Moment unter den hohen Flüchtlingszahlen. Wie erleben Sie den Umgang mit der Situation?

Beckstein: Es sind nicht nur die Bayern selbst, auch die bayrische Staatsregierung hat bei der Lösung der Flüchtlingskrise Unglaubliches geleistet hat. Fast alle, die gekommen sind, waren zunächst mal in Bayern. Im Moment haben wir 152.000 Menschen in staatlichen Unterkünften. Vor einem halben Jahr hat das noch niemand erwartet. Es war schon schwierig, für diese Menschen genügend Betten zu organisieren. Das ist eine unglaubliche Leistung, von den Feuerwehren bis zu den Kirchengemeinden. In meiner eigenen Gemeinde geben Lehrer im Ruhestand ehrenamtlich Sprachunterricht, bevor die offiziellen Sprachkurse greifen. Da ist eine Menge getan worden.

Diesen Zustand können wir allerdings nicht weiter beibehalten. Hunderttausende kommen ohne Kontrolle zu uns. Gott sei Dank ist da bisher noch nichts passiert und wird auch hoffentlich nicht. Ich kenne allerdings niemanden, der in der Sicherheitspolitik Verantwortung trägt und sagt, da sei alles gut gelaufen. Selbstverständlich muss man Identitäten klären. Jetzt wurde der Ausweis für Flüchtlinge eingeführt. Das ist wichtig, damit sich niemand zehn oder 15 verschiedene Identitäten zulegen kann. Das merken wir ja grade in diesen Tagen bei den Prozessen in Köln. Schlichtweg ist da handwerklich bis jetzt einiges danebengegangen. Das haben wir sehr viel deutlicher gespürt als andere Länder.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch am Rande einer Veranstaltung des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) zur Rolle von Religion und Wirtschaft in der Gesellschaft.


Quelle:
DR