Kulturjournalist Kissler kritisiert deutsche Flüchtlingspolitik

"Ohne Räume der Begegnung werden wir scheitern"

"Wir schaffen das" - dieser Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Flüchtlingskrise wird kontrovers diskutiert. Der Kulturjournalist und Buchautor Dr. Alexander Kissler nennt diesen Ausspruch im domradio.de-Interview einen fatalen Fehler.

Dr. Alexander Kissler / © Reiner Just (KNA)
Dr. Alexander Kissler / © Reiner Just ( KNA )

domradio.de: "Wir schaffen das", sagt die Kanzlerin - was sagen Sie?

Dr. Alexander Kissler: Ich frage mich zunächst einmal, welches "wir" da aus ihr spricht und warum sie diesen Satz gleich zweimal gesagt hat. Damit hat sie ja gewissermaßen das Ergebnis an den Beginn der Bemühungen gesetzt. Es stimmt natürlich, dass der Pessimist der einzige Mist ist, auf dem nichts wächst. Das würde ich auch so sehen, denn ich bin auch Optimist. Aber zu sagen, dass man alles tun werde und dadurch einen Blankoscheck für grenzenlose und teilweise illegale Zuwanderung ausstellt, halte ich für einen fatalen Fehler.

domradio.de: Jetzt gibt es viele Menschen, die sagen, dass viele der Flüchtlinge sehr gut ausgebildet sind. Das wäre doch auch eine Chance für Deutschland, oder?

Dr. Alexander Kissler: Ich höre aber ständig, auch von der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles, dass wir es hier mit einem Zuzug in die Sozialsysteme zu tun haben. 90 Prozent der Flüchtlinge seien laut Frau Nahles nicht auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar. Erst in der zweiten oder dritten Generation könnten wir vielleicht von Fachkräften reden. Das ist wirklich sehr perspektivisch gedacht.

domradio.de: Vor allem die Bürgerkriegsflüchtlinge sind oftmals traumatisiert und haben Gewalt und Vertreibung erlebt. Hätten Sie einen Rat zur besseren Integration an die Politik?

Dr. Alexander Kissler: Wir müssen natürlich die eigentlichen Flüchtlinge, die ein bedingungsloses Recht haben, hier bei uns unterzukommen, von denen unterscheiden, die nicht unter staatlicher Verfolgung leiden. Das ist ja die Definition des Asylrechts. Die Integration kann dann gelingen, wenn wir das gerade nicht tun, was wir jetzt tun, nämlich für Flüchtlinge große Verwahrstationen bilden, die dann eventuell auch noch nach Religion oder Herkunft geordnet werden. Dazu fällt mir leider kein anderes Wort als Ghettoisierung ein. Das trägt nie zur Integration bei.

domradio.de: Die überwiegende Zahl der Flüchtlinge, die jetzt im Moment nach Deutschland kommen, sind Muslime. Die Kanzlerin empfiehlt, wenn jemand Angst vor dem Verlust der christlichen Identität habe, solle er doch einfach mal wieder in die Kirche gehen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Dr. Alexander Kissler: Das ist erst einmal sympathisch und das hört man gerne. Gleichzeitig ist das aber auch ein bisschen naiv. Aus persönlicher, privater Sicht würde ich dem zustimmen und sagen, es schadet nichts, mal wieder in die Kirche zu gehen. Als politische Handlungsanweisung kann das allerdings nicht funktionieren. Wir können uns ja nicht dadurch, dass wir mehr Predigten anhören, den Einschränkungen der Freiheit und einem anderen Verständnis von Gesellschaft erwehren. Da ist schon ein wirkliches Grenzen-Bewusstsein und Toleranz gefordert.

domradio.de: Da stellt sich dann auch wieder die Frage, wie man diese Grenzen setzt. Wir hören immer wieder von Flüchtlingsunterkünften, in denen es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Hätten Sie eine Idee, wie man diese Grenzen in der Praxis umsetzen kann?

Dr. Alexander Kissler: In der Praxis ist es so, dass überfüllte Aufnahmelager nicht zur Integration beitragen. Die Konflikte aus den Herkunftsländern addieren sich hier weiter und spitzen sich sogar manchmal zu. Da muss man daran denken, eher dezentrale und kleinere Unterkünfte bereitzustellen. Man muss vor allen Dingen aber an den Grenzen schon den Zufluss stoppen bzw. kanalisieren.

domradio.de: Mit Ihrem Buchtitel spielen Sie vor allem auf Islamisten an, die die europäischen Werte nicht akzeptieren. Sie sagen, Europa beschuldige eher die Opfer und verteidige die Täter als für die eigenen Werte einzustehen. Woran machen Sie diese Analyse fest?

Dr. Alexander Kissler: Das ist ein zugespitzter Punkt. Ich mache es daran fest, dass nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo oder anderen Anschlägen man oft hörte, dass man die Muslime ja auch gereizt habe. Man folgt damit dem Motto, wer so etwas tut, sich so äußert und solche Zeichnungen in die Öffentlichkeit setzt, der darf sich nicht wundern. Und das halte ich für ganz falsch. Wir haben jetzt gehört, dass die Redaktion von Charlie Hebdo in einen Hochsicherheitstrakt umziehen muss. Wenn man in seiner normalen, westlichen Freiheit der Formulierung von Gedanken und des Zeichnens nachgeht, muss man sich offenbar schützen, sobald man sich in kritischer Absicht dem Islam zuwendet. Das darf nicht sein!

domradio.de: Immer wieder wird der Untergang des christlichen Abendlandes ausgerufen, meistens von Leuten, die nicht einmal das Vaterunser aufsagen können. Dass wir so defensiv auftreten, liegt eher in der Unkenntnis unserer eigenen Kultur und Religionsgeschichte, oder?

Dr. Alexander Kissler: Da ist etwas dran. Es liegt einerseits an der Bequemlichkeit, da man sich nicht auseinandersetzen und sich jemandem zum Feind machen will. Andererseits liegt es auch an der Unkenntnis. Das bedeutet, wir müssen die Trägheit des Herzens und des Geistes überwinden. Wir müssen eine Bildungsanstrengung initiieren, bei der wir uns unserer eigenen westlichen Herkunft - und ich rede hier nicht nur von christlichen Herkunft - wie griechische Philosophie, römisches Recht, Monotheismus und jüdisch-christliche Ausprägung neu vergewissern. Wir müssen daraus das Selbstbewusstsein gewinnen, um zu sagen, dass es nur bis hierher geht und nicht weiter. Wer diese westlichen Prinzipien nicht bereit ist zu akzeptieren, der hat letzten Endes auch kein Aufenthaltsrecht hier.

domradio.de: Deutschland altert, nicht wenige Flüchtlinge sind gut ausgebildet. Sehen Sie mehr Chancen als Risiken bei der Aufnahme von Menschen aus Krisenländern oder überwiegt die Skepsis?

Dr. Alexander Kissler: Ich widerspreche der Aussage ja, dass viele Flüchtlinge gut ausgebildet sind. Die Zahlen geben das nicht her. Vielleicht sind viele Flüchtlinge gut motiviert, was ein guter Ansatz wäre. Ich bin insofern optimistisch, dass Integration gelingen kann, wenn wir wirklich auf beiden Seiten integrationsfähige Menschen haben. Und wir müssen diese Ghettoisierung überwinden. Begegnungen können den Menschen und die Gesellschaft zum Guten verändern. Wenn wir keine Räume der Begegnung schaffen, dann werden wir vor dieser Aufgabe scheitern.

Das Interview führte Mathias Peter

 


Quelle:
DR