Journalist Öhler für individuelle Prüfung von Fluchtgründen

"Die Menschen am Grad der Verzweiflung messen"

Die Westbalkan-Staaten sind Transitländer für Kriegsflüchtlinge und Herkunftsländer von Flüchtlingen aus wirtschaftlicher Not. Doch ist diese Unterscheidung christlich? "Nein" sagt der Journalist Andreas Oehler im Interview mit domradio.de.

Flüchtlinge in Mazedonien (dpa)
Flüchtlinge in Mazedonien / ( dpa )

domradio.de: Wer politisch verfolgt ist, bekommt in Deutschland Asyl. Wer nur ein besseres Leben sucht, hat keine Chance auf Anerkennung. Das sind zusammengefasst die beiden Seiten. Stimmen Sie da zu?

Andreas Öhler (Journalist; Artikel in der Zeitbeilage "Christ und Welt" zum Thema: "Wohlleben? Lebe wohl!"): Wenn man es grob skizzieren würde, wäre es so. Aber ich finde, man muss die Menschen auch am Grad ihrer Verzweiflung messen. Was sie dazu anleitet, überhaupt loszugehen. Ich meine, wer ein Motiv hat, Haus und Hof, oder das, was er als Existenz hatte, stehenzulassen und seinen Kulturkreis zu verlassen, der ist wirklich in großer Not und ich finde, da muss man auch die Not anerkennen und nicht immer nur so tun, als würde man von außen – von der Couch aus – das beurteilen können, wann jemand losgeht.

domradio.de: Und es ist ja auch nicht besonders christlich, Menschen zurückzuschicken, nur weil sie sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge sind.

Andreas Öhler: Auch da muss man sagen, es gibt kein Prinzip. Es kann manchmal christlich sein, jemandem klar zu machen, dass er lieber bleiben soll, weil es ihm letzten Endes dann vielleicht doch besser geht. Aber man muss jeden Einzelfall prüfen und ich würde einfach sagen: Christlich ist, erstmal alle anzuhören und dann ein Urteil zu bilden, wie es Kardinal Woelki auch angedeutet hat.

domradio.de: Liegen die Probleme eventuell auch innerhalb der verschiedenen Ethnien, also wenn man zum Beispiel den Blick auf Sinti und Roma richtet?

Andreas Öhler: Ich glaube ja. So hart das ist und was man eben auch hört von Menschen, die mit diesen ethnischen Gruppen arbeiten. Es ist schon so, dass sich in den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten eigentlich auch zeigt, dass die destabilisiert sind, dass den Sinti und Roma niemand hilft, dass sie dann Parallelgesellschaften bilden mit ihren eigenen Gesetzlichkeiten und die dann auch manchmal ziemlich grausam für die eigene Ethnie sind. Da wird dann manchmal das Heil im Ausland gesucht, weil dort etwa Kinder und Frauen zum ersten Mal auch Achtung erfahren.

domradio.de: Jetzt haben sich gestern in Wien Politiker getroffen, um auch über diese Sachlage zu beraten. Wie bewerten Sie das?

Andreas Öhler: Ich war ein bißchen traurig, dass die Tagung brandbeschleunigt wurde durch die Toten in dem Kühl-LKW. Man hat natürlich schon das Gefühl, wenn nicht noch was grausameres passieren würde, würden die Leute nicht in die Gänge kommen. Ich glaube schon, dass alle lautere Motive haben und es kann auch nicht sein, dass Deutschland 47 Prozent der Flüchtlinge aufnimmt, aber ich fürchte, dass die Bürokratie den Ereignissen hinterherrennt.   


Quelle:
DR