Erzbischof Koch zur Gewalt gegen Flüchtlinge

Solidarität im Guten

Nach der Gewalt und dem Hass gegen Flüchtlinge in Heidenau, ruft Erzbischof Heiner Koch dazu auf, eine Gegenatmosphäre zu schaffen. Außerdem müsse man fragen, was in den Protestierenden zerbrochen sei, dass sie so extrem auftreten.

Heiner Koch (dpa)
Heiner Koch / ( dpa )

domradio.de: Wie finden Sie es, dass sich jetzt eine ganze Reihe von Politikern an Orten blicken lassen, an denen es Proteste und Gewalt gegen Flüchtlinge gegeben hat.   

Erzbischof Heiner Koch (Apostolischer Administrator des Bistums Dresden-Meißen, künftiger Erzbischof von Berlin): Auf der einen Seite ist es ein großartiges Zeichen. Es zeigt im Grunde, wo unsere Gesellschaft und die, die unsere Gesellschaft repräsentieren, stehen. Natürlich muss man jetzt aufpassen, dass das Ganze nicht zum Eigennutz wird. Man fährt nach Heidenau, man distanziert sich, man schimpft - das gehört jetzt natürlich auch zum allgemeinen Ton.   

Vor allem kann ein solches Zeichen nicht ersetzen, dass wir uns fragen, wie es zu so etwas kommen kann und welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Was bedeutet es für die innere Entwicklung unserer Gesellschaft und speziell für die Flüchtlingsthematik und die politischen Probleme, die wir da haben?

domradio.de: Haben Sie selbst auch schon daran gedacht, als Vertreter der katholischen Kirche Flüchtlingsheime zu besuchen?  

Erzbischof Koch: Ich besuche immer wieder Flüchtlingszeltlager. Von diesen Besuchen spricht aber niemand. Zuletzt war ich hier in Dresden in einem Zeltlager, das von jetzt auf gleich entstanden ist. Dort sind wir als katholische Kirche präsent. Ich habe auch schon zu Heidenau öffentlich Stellung genommen. Das hat mir auch einiges an Ärger eingebracht. Wir versuchen natürlich nicht nur über den Bischof, sondern auch über viele andere in den Gemeinden eine Willkommenskultur zum Ausdruck zu bringen.  

domradio.de: Sie haben sich schon mehrfach geäußert, dass Sie keinerlei Verständnis für solche Proteste gegen Flüchtlinge haben - wie auch jetzt im Fall Heidenau. Haben Sie da tatsächlich im Nachhinein hasserfüllte Reaktionen bekommen?  

Erzbischof Koch: Sicherlich bei Weitem nicht so heftige Reaktionen, wie sie den Flüchtlingen in Heidenau entgegengebracht worden sind. Hasserfüllte Parolen und Gewalt, die einem zugefügt wird - so etwas habe ich natürlich noch nicht erlebt. Die Briefe und die Mails, die ich bekomme, sind mir aber auch unverständlich. Mir ist unverständlich, dass man so hasserfüllt gegenüber Menschen sein kann. Ich habe Verständnis dafür, dass man Fragen an die Flüchtlingspolitik stellt - zum Beispiel, ob die Kommunikation vor Ort gut gelaufen ist. Ich habe Verständnis dafür, dass man die Frage stellt, ob die Bundesregierung die Kommunen vor Ort alleine lässt und diese überfordert sind. Kritische Stimmen sind kein Problem.

Aber wenn man den Flüchtlingen und denen, die auf ihre Seite treten, so hasserfüllt entgegen zu kommt, frage ich mich, wie das sein kann. Was ist da im Menschen zerbrochen? Was haben sie selbst vielleicht für Verletzungen? Oder haben sie einfach so viel Kraft des Bösen in sich? Manchmal frage ich mich auch, ob Rechtsradikale dieses mit Unsicherheiten besetzte Thema ausnutzen, um sich in der Öffentlichkeit zu halten. Ich sehe auch, dass bei den Ausschreitungen in Heidenau nicht nur Rechtsradikale aus Heidenau dabei waren. Da sind viele angereist, weil sie dort die Gesellschaft aufbrechen konnten. Hier in Sachsen ist die NPD gerade aus dem Landtag geflogen, jetzt treten ihre Vertreter dort wieder auf.   

domradio.de: Viele Bürger schließen sich den Protesten der Rechtsradikalen an. Angesichts dieser Gemengelage: Was raten Sie den Städten und Gemeinden wie Heidenau?  

Erzbischof Koch: Zunächst mal gibt es nicht eine Lösung. Die Flüchtlingspolitik muss auf den Prüfstand, in Europa und in Deutschland. Zweitens müssen wir die zusammenschließen, die einen Gegenpol zu den Protesten darstellen. Es wird ja nicht von den vielen positiven Aktionen berichtet, die ja auch laufen - auch in Heidenau oder auch in Dresden. Da treten Menschen den Flüchtlingen positiv gegenüber, zeigen Herz. Wir müssen eine Solidarität im Guten entwickeln. Wir müssen uns fragen, wie Menschen sich zu hasserfüllten Tiraden hinreißen lassen können. Darüber müssen wir mit ihnen sprechen. Manchmal haben ja auch die Gruppen, die da zusammenkommen, ein so großes Binnenzusammengehörigkeitsgefühl fast wie eine Sekte. Wir müssen auch manchen aus der Sackgasse herausholen, in die er da geraten ist.  

domradio.de: Sehen Sie noch Potenzial bei den Kirchengemeinden vor Ort? Könnten die noch aktiver gegen rechtsextreme Gewalt vor Ort vorgehen?  

Erzbischof Koch: Das wird man immer tun müssen. Sie müssen aber auch weiter zeigen, dass sie nicht nur gegen rechtsextreme Gewalt sind, sondern auch für Flüchtlinge. Wir müssen eine Gegenatmosphäre schaffen. Unabhängig davon gehört das Thema Rechtsextremismus in die Schule und in die Bildungsarbeit. Jetzt haben wir die Flüchtlingsproblematik, morgen wird es etwas anderes sein. Das Potenzial zum Rechtsextremismus, der immer wieder sein Thema findet, ist ja in Deutschland und auch in den Nachbarländern da.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR