Kardinal Marx zu Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte

"Gegen Hass und Gewalt klar Stellung beziehen"

Nach Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte ruft die Kirche dazu auf, gegen Hass und Gewalt Stellung zu beziehen. "Wer angesichts der jüngsten Vorkommnisse schweigt, der verrät unsere Werteordnung", sagt Kardinal Reinhard Marx.

Brand in zukünftiger Asylunterkunft (dpa)
Brand in zukünftiger Asylunterkunft / ( dpa )

"Nicht der Hauch eines Zweifels ist erlaubt: Wo Flüchtlinge bedroht sind, steht die Kirche an ihrer Seite!", erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am Freitag in Bonn. Allein im ersten Halbjahr 2015 habe es rund 150 Übergriffe auf Flüchtlings- und Asylbewerberunterkünfte gegeben, beklagte Marx. Als Beispiel nannte er die andauernden Proteste und Ausschreitungen im sächsischen Freital. Diese zeigten, "dass einige Gruppen versuchen, das Klima in unserer Gesellschaft zu vergiften und Hass zu säen. Das dürfen wir niemals dulden!"

Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sei deutlich nach oben gegangen. Oft unter Einsatz ihres Lebens seien diese Menschen der unbeschreiblichen Not in den Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten des Mittleren Ostens und Afrikas entkommen, so Marx weiter. "Für viele von ihnen geht es nicht zuerst um gute Lebensbedingungen, sondern schlicht ums Überleben. Ohne Wenn und Aber: Diese Flüchtlinge, viele von ihnen traumatisiert, haben Anspruch auf Schutz und Fürsorge."

Diese Menschen zu bedrohen und zu attackieren, zeuge "von enormer Verrohung, die unsere Gesellschaft niemals akzeptieren darf". Der Kardinal erinnerte auch daran, dass Papst Franziskus immer wieder zu einer Kultur der Aufnahme und Solidarität aufrufe und dazu ermutige, das krankhafte Misstrauen gegenüber Einwanderern und Fremden zu überwinden: "Die Bistümer, kirchlichen Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften und ebenso viele Einzelne folgen diesem Aufruf und treten auf allen gesellschaftlichen Ebenen für eine solidarische Willkommenskultur ein und engagieren sich in vielfältiger Weise. Dafür bin ich sehr dankbar!"

Mehr als Sachschäden

Vorra, Tröglitz, Böhlen - Reichertshofen. "Es ist natürlich unrühmlich, dass wir uns da einreihen müssen", sagt Bürgermeister Michael Franken. In der Nacht zu Donnerstag ist in der kleinen oberbayerischen Marktgemeinde eine Flüchtlingsunterkunft zum Teil in Flammen aufgegangen. Bisher habe eine Willkommenskultur geherrscht, sagt Franken. "Aber es genügt ein Verrückter, um einen Ort in Verruf zu bringen."

Wer die Unterkunft, einen leerstehenden Gasthof, angezündet hat, war zunächst unklar. Gegen 2.50 Uhr hatte ein Nachbar das Feuer im Ortsteil Winden bemerkt und die Einsatzkräfte alarmiert. Schnell stellen die Ermittler fest: Der Brand brach an zwei Stellen aus. "Wir gehen von vorsätzlicher Bandstiftung aus", sagt der Vizepräsident des zuständigen Polizeipräsidiums, Günther Gietl, bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im Rathaus in Reichertshofen. Spezialisten des Bayerischen Landeskriminalamtes sind vor Ort, ebenso ein Brandspürhund.

Amnesty: Tief verwurzelte Ressentiments

Ein Nebengebäude des Gasthofes brannte teilweise aus, die Polizei schätzt den Schaden auf 150.000 Euro. Am Vormittag flattert rund um das Gebäude ein rotweißes Band. Die unbekannten Täter haben die Gemeinde gebrandmarkt wie zuvor schon Meißen, Lübeck oder Escheburg, Vorra oder Tröglitz, wo ebenfalls für Flüchtlinge vorgesehene Gebäude angesteckt wurden. Zuletzt fielen sogar Schüsse auf ein Flüchtlingsheim in Böhlen bei Leipzig, Anfang Juli wurde eine geplante Flüchtlingsunterkunft im hessischen Mengerskirchen mit Schweineköpfen, Innereien und Schmierereien beschmutzt.

Für Amnesty International sind die sich häufenden Anschläge längst keine Einzelfälle mehr, sondern Zeichen für verwurzelte Ressentiments in der Gesellschaft. "Der starke Anstieg rassistisch motivierter Gewalt muss ein Weckruf für die Politik sein", betont Amnesty-Generalsekretärin Selmin Caliskan.

Fremdenfeindliche Google-Karte zeigte Asylheime

In den sozialen Netzwerken hat eine Google-Karte für eine große Debatte gesorgt und eine Gegenaktion ausgelöst. Fremdenfeindliche Aktivisten hatten die Adressen von Asylbewerberheimen unter der Überschrift "Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft" gesammelt. Das könne eine Reiseroute für rassistische Gewalttäter werden, warnt die demokratiefördernde Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. Ein Internetnutzer baute daraufhin eine neue Karte mit den Heimen - und dem Aufruf, Menschen in Not zu helfen. Google hat inzwischen beide Landkarten gesperrt.

Für Oppositionspolitiker trägt die bayerische Staatsregierung eine Mitschuld an dem jüngsten Anschlag in Reichertshofen. ""Flüchtlingsflut", "tausendfacher Missbrauch unseres Asylrechts", "asylferne Zuströme", "Armutseinwanderung" und "Asylmissbrauch" – das ist das Vokabular, mit dem bayerische Politiker arbeiten, wenn es um Menschen in Not, Flüchtlinge und Fremde geht", sagt der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, in Berlin. Am rechten Rand werde dies als Aufruf zum Handeln verstanden. Die Grünen pflichten ihm bei.

Lärmende Landtagsdebatte zu Asylpolitik

Ausgerechnet am Donnerstag tobt eine lärmende Landtagsdebatte um die bayerische Asylpolitik. Ein Auszug: Vergangenes Jahr seien 200.000 Asylbewerber gekommen, heuer würden es 500.000, formuliert CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer. "Wenn wir nächstes Jahr eine Million haben und in zwei Jahren zwei Millionen, werden wir das im eigenen Land niemals bewältigen können. Wir müssen deshalb diesen Zustrom eindämmen." Die CSU hatte das Thema unter dem Motto "Klartext statt Schönreden" auf die Tagesordnung gesetzt.

In Reichertshofen wollen sich die Menschen von dem Anschlag nicht unterkriegen lassen. Bürgermeister Franken hofft, "dass ein Ruck durch den Ort geht nach dem Motto: Jetzt erst recht". Das sieht auch Landrat Martin Wolf (CSU) so. Am Haupthaus, in das vom 1. September an 67 Flüchtlinge einziehen sollten, entstand lediglich Rauch- und Rußschaden. Der soll möglichst bald beseitigt sein, wie Wolf sagt - damit die Flüchtlinge wie geplant kommen können.

Die Betroffenheit in Reichertshofen ist auch deshalb groß, weil es noch vor einigen Monaten heftige Diskussionen um den Zuzug von Asylbewerbern gegeben hatte - die Wolf zufolge mit einem "guten Kompromiss" beendet wurden. Schon seit etwa zwei Jahren leben 75 Flüchtlinge in der Marktgemeinde. Mehr als 100 weitere sollten in den Ortsteil Winden gebracht werden. Das bereitete vielen Anwohnern Sorgen. Schließlich habe man sich auf 67 geeinigt, sagte Wolf. Daraufhin sei es ruhig geworden um das geplante Flüchtlingsheim.

Kirchenvertreter geschockt

Pfarrer Michael Schwertfirm zeigte sich schockiert über den Anschlag: "Für mich kommt das völlig überraschend. Ich bin geschockt. Die Stimmung im Ort war gut, nachdem die Flüchtlingsfrage geregelt war." Pizzabäcker Vito pflichtet ihm bei: "Die Menschen hatten es akzeptiert, es ist hier friedlich." Der Italiener kann nicht glauben, dass der Täter aus Winden kommt und spekuliert: "Vielleicht war es ein Auswärtiger?"

Auch die evangelische Pfarrerin im nahen Pfaffenhofen, Christiane Murner, zeigte sich betroffen. "Überall gibt es Menschen, die sich mit Migranten schwer tun", sagte sie dem epd und bedauerte Ressentiments gegenüber Fremden. Um so erfreulicher sei, dass sich die große Mehrheit der Bevölkerung und viele Kirchengemeinden für Flüchtlinge engagierten. Das überparteiliche und überkonfessionelle Bündnis "Pfaffenhofen ist bunt" mache immer wieder deutlich, dass Asylbewerber heute zur Gesellschaft gehörten.

 


Reinhard Kardinal Marx (dpa)
Reinhard Kardinal Marx / ( dpa )
Quelle:
dpa , epd , KNA , DR