Internationaler Tag zur Unterstützung der Folteropfer

Therapie mit Dolmetscher

In Deutschland kümmern sich private Behandlungszentren um Flüchtlinge, die Opfer von Folter geworden sind. Sie müssen um jeden staatlichen Euro ringen. Das muss sich ändern, fordert Urs Fiechtner von Amnesty International im domradio.de-Interview.

Der Internationale Tag zur Unterstützung der Folteropfer ist am 26. Juni (dpa)
Der Internationale Tag zur Unterstützung der Folteropfer ist am 26. Juni / ( dpa )

Am 26. Juni ist der Internationale Tag zur Unterstützung der Folteropfer.

domradio.de: Folter ist erst einmal nur ein Wort. Mit welchen Erfahrungen kommen die Menschen denn zu uns? 

Urs Fiechtner (Amnesty International): Es ist tatsächlich eine unvorstellbare Grausamkeit, die heute in vielen Ländern der Welt stattfindet. Amnesty International hat in den letzten fünf Jahren festgestellt, dass Folter in 141 Ländern der Welt systematisch angewandt wird - vom Staat geduldet oder sogar befohlen. Allein im letzten Jahr haben wir beweiskräftige Berichte aus 130 Ländern der Welt. Hinzu kommt Gewalttraumatisierung der Zivilbevölkerung in den vielen Kriegsgebieten. Und dann gibt es durch das Versperren der Fluchtwege in die Industrieländer lebensgefährliche Situationen in der Sahara oder auf dem Mittelmeer, dass Menschen auf der Flucht so schreckliche Dinge erleben, die sie seelisch nicht mehr verkraften können.

domradio.de: In Deutschland gibt es um die 30 Therapiezentren für Folteropfer. Was wird da für die Menschen getan?  

Fiechtner: Dort wird versucht, Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung wieder lebens- und arbeitsfähig zu machen. Sie haben zahlreiche körperliche und psychische Beschwerden - wie zum Beispiel quälende Schlaflosigkeit. Das Krankheitsbild ist sehr vielfältig. Durch therapeutische Maßnahmen wird versucht, an der chronischen Traumatisierung zu arbeiten. Das geschieht mit ganz großem Erfolg. Die Behandlungszentren, die eine Evaluierung machen, sprechen von befriedigenden Erfolgen in bis zu 75 Prozent der Fälle. 

domradio.de: Nur ein Bruchteil der Menschen, die zu uns kommen, bekommt überhaupt einen Platz in einer solchen Einrichtung. Die Förderung geht zurück, Angestellte der Zentren müssen teils entlassen werden. Weshalb muss es denn so weit kommen? 

Fiechtner: Es mussten sogar schon Behandlungszentren schließen. Zunächst muss man wissen, dass es sich hier um eine Lücke im deutschen Gesundheitssystem handelt. Die Behandlungszentren, von denen wir sprechen, sind alle von Bürgerinitiativen gegründet worden - und zwar aus der Not heraus. Weil diejenigen, die sich vor Ort um Flüchtlinge kümmern, erkannt haben, dass sie vom Gesundheitssystem keine ausreichende Hilfe bekommen. Die privaten Einrichtungen mussten von Anfang an um staatliche Zuschüsse kämpfen. Die bekommen sie auch nicht in allen Bundesländern. Noch heute muss trotz steigender Flüchtlingszahlen und steigender Zahl derer, die hochgradig traumatisiert sind, um jeden Euro gerungen werden. Die Behandlungszentren sind nach wie vor von Spenden aus der Bevölkerung abhängig.  

domradio.de: Warum gehören solche Behandlungszentren Ihrer Ansicht nach zur Mindestversorgung in Deutschland?  

Fiechtner: Weil es um die schwächsten Glieder der Gesellschaft geht. Diejenigen, die keine Lobby haben, trifft es immer dann, wenn Geld gespart wird. Der zweite Grund ist das Rechtliche, speziell das Asylbewerberleistungsgesetz. Das Gesetz macht es für Flüchtlinge sehr kompliziert, eine angemessene ärztliche Versorgung zu bekommen. Ein Beispiel: Ein Asylbewerber bekommt im Grunde nur eine sogenannte Grundversorgung. Akute Erkrankungen werden ärztlich versorgt und von einer Krankenkasse getragen. Bei chronischen Krankheiten gibt es aber keinen Anspruch.

domradio.de: Sie schlagen die Foltertherapie als Kassenleistung vor. Wie soll das funktionieren? Flüchtlinge haben ja keine Krankenversicherung, wenn sie nach Deutschland kommen…

Fiechtner: Es müssen mehrere Dinge passieren. Zum einen müssen die Behandlungszentren vernünftig finanziert werden - durch Bund, Länder und Kommunen. Das andere ist eine notwendige kassenärztliche Versorgung, bei der alles gedeckt wird. Bei der Psychotherapie muss man da zum Beispiel auch an Dolmetscher denken. In vielen Fällen würde ein Flüchtling eine Therapie finanziert bekommen - aber ohne Dolmetscher. Da ist eine Therapie natürlich aussichtslos.

 

Das Interview führte Daniel Hauser.


Quelle:
DR