Ethikrat-Mitglied über Einführung eines Immunitätsausweises

Einstimmig abgelehnt

Der Deutsche Ethikrat lehnt einen Immunitätsausweis ab. Zu unsicher sei derzeit die Datenlage bei einer Covid-19-Erkrankung. Bei einer weitergehenden Frage war man aber geteilter Ansicht, wie Theologe Andreas Lob-Hüdepohl erklärt.

Demonstrantin mit Schild "Wir wollen keinen Immunitätsausweis" / © Fabian Strauch (dpa)
Demonstrantin mit Schild "Wir wollen keinen Immunitätsausweis" / © Fabian Strauch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ein Immunitätsausweis klingt erstmal praktisch: So könnte man als Lehrer bedenkenlos Kinder in der Schule unterrichten, seine Angehörigen im Pflegeheim besuchen oder am Gottesdienst teilnehmen.

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl (Professor für Theologische Ethik, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin / Mitglied im Deutschen Ethikrat): Das Letztere wäre mit Sicherheit von Vorteil. Gleichwohl, und darin ist der Rat sich völlig einig, ist zum jetzigen Zeitpunkt die medizinische Faktenlage viel zu ungesichert, als dass man sagen könnte: Wenn ich eine Covid-19-Erkrankung überstanden habe, dann bin ich immun.

Und es geht ja nicht nur um Immunität, also dass ich nicht mehr erkranken kann, sondern es geht vor allen Dingen auch darum, dass ich nicht mehr infektiös für andere bin. Die Nichtinfektiösität ist ein weiterer, ganz wichtiger Baustein. Zum jetzigen Zeitpunkt ist völlig ungeklärt, ob eine solche durchstandene Covid-19-Erkrankung eine solche Immunität und Nichtinfektiösität hinreichend sicherstellt. Deshalb sagt der Rat zum jetzigen Zeitpunkt: Nein.

DOMRADIO.DE: Der Ethikrat hat 24 Mitglieder: Es gab mit zwölf zu zwölf Stimmen erstmal eine Patt-Situation. Das heißt, es gab in der Diskussion Argumente für und gegen einen Immunitätsausweis?

Lob-Hüdepohl: Das ist richtig. Aber das bezieht sich nicht auf die gegenwärtige Situation. Da ist der Rat völlig einstimmig, 24 sagen derzeit: auf keinen Fall. Auseinander gehen die Meinungen bei der Frage, wenn der medizinische Sachstand so weit fortgeschritten ist, dass man verlässliche Aussagen machen könnte, ob eine durchstandene Covid-19-Erkrankung hinreichend Immunität und Nichtinfektiösität bescheinigt, ob man es dann einsetzen kann.

Da sagen die einen, dass es wichtig sei, denn es könnte sich die Möglichkeit ergeben, dass man von den Covid-19-Einschränkungen befreit wird. Das sind ja immerhin Grundrechtseinschränkungen.

Und die anderen sagen: Das mag zwar sein, aber es hat eine ganz gefährliche Anreizstruktur, beispielsweise für diejenigen, die sich "freiwillig infizieren", damit sie schnell die Krankheit bekommen und hoffentlich durchstehen. Das sind also die Gruppen mit einem geringeren Risiko wie Jugendliche oder aber prekär Beschäftigte, die sagen, eine solche Erkrankung sei zwar schwierig, aber man müsse ganz schnell wieder an eine Möglichkeit kommen, Geld zu verdienen.

Also schwerwiegende Gründe sprechen dagegen, dass man eine solche Immunitätsbescheinigung ausstellt. Wie gesagt, es käme zu großen Schieflagen innerhalb der Bevölkerung. Das Ganze ist es nicht wert, für einige Monate ins Werk gesetzt zu werden.

DOMRADIO.DE: Haben Sie sich im Ethikrat auch mit der Frage auseinandergesetzt, wie das Ganze aussieht, wenn es einmal ein Angebot für alle geben sollte? Wäre dann ein Eintrag im Impfausweis sinnvoll wie bei Röteln oder Masern?

Lob-Hüdepohl: Aber selbstverständlich. Das ist aber eine andere Frage. Die Frage steht in der Tat im Raum, ob es bald eine Impfung gibt. Dann kann und wird das natürlich dazu führen, dass eine Impfung ins Impfbuch eingetragen wird und dass man dann auch entsprechend von bestimmten Einschränkungen befreit werden kann.

Das ist aber eine völlig andere Situation als jetzt. Wir sprechen gerade über Immunitätsbescheinigungen, die ja bekanntlich derzeit maximal 250.000 Menschen betreffen könnten. Denn nur 250.000 Menschen haben die Covid-19-Erkrankung ja durchstanden. Angesichts von 80 Millionen in der Bevölkerung ist das erschreckend gering.

Etwas anders sieht es aus, wenn Impfstoff genügend verfügbar ist. Da wird es vermutlich keine großen Probleme geben. Es sei denn, dass am Anfang der Impfkampagnen zu wenig Impfstoff zur Verfügung steht. Und da geht es darum, Priorisierungen herzustellen oder Priorisierung zu begründen: Wer kommt zuerst in den Genuss einer Immunität über Impfung und nicht zu einer Immunität über Genesung? Wie gesagt, es ist ein anderer Fall, der jetzt in den nächsten Monaten intensiv diskutiert wird.

DOMRADIO.DE: Wären dann nicht auch Menschen, die auf natürlichem Weg immunisiert sind, die die Krankheit durchgestanden haben, benachteiligt? Müssten sie sich dann trotzdem impfen lassen?

Lob-Hüdepohl: Um eine hinreichende Sicherheit zu bekommen, in jedem Fall. Aber die soziale Schieflage, von der ich eben sprach und die befürchtet wird, würde so nicht mehr eintreten. Ein wichtiges Gegenargument gegen Immunitätsbescheinigungen würde dann in der Tat wegfallen. Dann müsste man natürlich die Situation nochmal völlig neu bedenken.

Aber derzeit beinhaltete die Auftragsvergabe an den Deutschen Ethikrat die Immunitätsbescheinigung auf der Grundlage von durchstandener Erkrankung. Dieses Feld haben wir in den Blick genommen. Wenn ganz andere Strategien zur Verfügung stehen gegen die Pandemie vorzugehen, wie beispielsweise Impfungen, wie aber auch andere präventive Maßnahmen, dann muss man sich natürlich ein neues Urteil bilden.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht (KNA)
Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR