Weihbischof Losinger zu den Risiken vorgeburtlicher Gentests

"Die Gesellschaft muss dazulernen"

Immer präzisere vorgeburtliche Gentests sind nicht die Lösung, sagt Weihbischof Anton Losinger. Statt dessen sieht das frühere Ethikrats-Mitglied die Gesellschaft in der Pflicht. Sie müsse Menschen mit Behinderung vorbehaltos annehmen. 

Weihbischof Losinger: Wissenschaflicher Fortschritt hat ein doppeltes Gesicht / © science photo (shutterstock)
Weihbischof Losinger: Wissenschaflicher Fortschritt hat ein doppeltes Gesicht / © science photo ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie sprechen sich wie die gesamte katholische Kirche gegen vorgeburtliche Tests aus. Können Sie denn nicht auch nachvollziehen, dass werdende Eltern unbedingt wissen wollen, ob ihr Kind gesund ist?

Weihbischof Anton Losinger (Dompropst im Bistum Augsburg und früheres Mitglied des Deutschen Ethikrates): Es gibt ein Recht auf Wissen und es gibt ein Recht auf Nichtwissen. Was sich inzwischen geändert hat, ist die Dramatik des wissenschaftlichen Fortschritts, mit dem diese Tests heute in wesentlich effizienterer Weise funktionieren - gerade die berühmten Praenatests, die genetische Abweichungen bei einem menschlichen Embryo feststellen.

Dieser wissenschaftliche Fortschritt hat ein doppeltes Gesicht. Auf der einen Seite haben wir dramatische Fortschritte in den Möglichkeiten, Krankheiten zu erkennen und zu heilen. Aber auf der anderen Seite der Medaille steht das Problem, dass die Feststellung eines genetischen Defekts in den allermeisten Fällen heute dazu führt, dass das Leben eines solchen menschlichen Embryos, eines werdenden Kindes, beendet wird. Die Statistik sagt uns: plus/minus 90 Prozent.

DOMRADIO.DE: Es gab ja erst im Sommer die Diskussion darüber, ob Krankenkassen den Bluttest zahlen müssen, mit dem man unter anderem das Down-Syndrom bei einem Ungeborenen diagnostizieren kann. Neuerdings gibt es auch Tests, mit denen man Mukoviszidose nachweisen kann. Was meinen Sie, wo führt das hin?

Losinger: Wenn man die Homepages der entsprechenden Pharmafirmen auf sich wirken lässt, dann zeigt sich, dass die Bandbreite dieser Tests immer perfekter und immer breiter wird. Das heißt, es wird eine Durchleuchtung des Genoms des Menschen am Lebensbeginn stattfinden, bei der wir im Grunde sehr genau erkennen können: Wo ist ein Mensch gesund, wo nicht? Und wann steht es einem Menschen zu, Selektion vorzunehmen, also einen Menschen mit einer genetischen Abweichung schlicht und einfach nicht zum Leben kommen zu lassen?

DOMRADIO.DE: Aber auch klar ist: Man kann die Wissenschaft nicht aufhalten. Diese Tests werden genutzt, wenn sie verfügbar sind. Und es werden immer mehr. Was muss denn Ihrer Meinung nach passieren?

Losinger: Es ist in der Tat richtig, dass man immer schon sagte: Alles, was die Wissenschaft kann, das wird sie auch tun. Aber das Dilemma darin besteht - mit Albert Einstein gesprochen - im Grunde bereits seit der Frage der Erfindung der Atombombe. Was ist die Folge eines solchen Handelns, das ohne ethische Verantwortung, ohne eine nüchterne wissenschaftliche Technikfolgenabschätzung funktioniert? Ich würde hier mit einem sehr praktischen und lebensnahen Konzept beginnen: Wir alle wissen, welch ein Glücksfall es ist, wenn eine Familie ein Kind bekommt. Und welch ein Schreck ist es, wenn der Arzt sagt, es wird behindert sein.

Ich würde sagen: Die Lösung ist nicht genetische Detektion von Fehlern, die zur Abtreibung eines Kindes führen, sondern eine Gesellschaft, die starke Hilfe zur Verfügung stellt. Gerade Kinder mit Trisomie 21 sind ja oft interessante, freundliche, liebenswürdige Menschen, die einer Familie auch Glück bringen können. Unser Job besteht darin, gerade solchen Familien, die sich der Aufgabe der Annahme eines Menschen mit Behinderung stellen, maximale Hilfe zur Verfügung zu stellen. Und da halte ich es mit unserem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der einmal sagte: Eine Gesellschaft zeigt ihr wahres, humanes Antlitz immer darin, wie sie mit den Schwächsten in Ihrer Mitte umgeht.

DOMRADIO.DE: Sie sagen ganz klar: Maximale Hilfe ist nötig. Da passiert momentan noch zu wenig.

Losinger: Wir müssten Eltern, die mit einer solchen Diagnostik konfrontiert sind, Hilfe, Beratung und Maßnahmen anbieten, die ihnen auch helfen, dieses werdende Leben entsprechend anzunehmen. Und wir müssen auch als Gesellschaft dazulernen. Denn nicht selten berichten Eltern eines Kindes mit Behinderung: "Da schauen Passanten in unseren Baby-Wagen und sagen: Hätte es das gebraucht?" Ich würde sagen: "Auf jeden Fall hat es das gebraucht - wenn wir daran denken, dass an Weihnachten ja Jesus selber Kind geworden ist." 

Das Interview führte Carsten Döpp.


Weihbischof Anton Losinger / © Harald Oppitz (KNA)
Weihbischof Anton Losinger / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR