Deutsche werfen jedes Jahr Millionen Tonnen Lebensmittel weg

Krumme Dinger sollen nicht auf dem Müll landen

Millionen Tonnen Lebensmittel landen auf dem Müll - nicht weil sie schlecht geworden sind, sondern weil zu viel gekocht, zu viel eingekauft wurde oder das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Das soll sich ändern.

Autor/in:
Christoph Arens
Lebensmittel im Müll / © Daisy Daisy (shutterstock)

Die Zahlen dürften niemanden kalt lassen: Während weltweit 800 Millionen Menschen hungern, wandern in Deutschland jährlich rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel auf den Müll. Das jedenfalls besagt ein am Donnerstag vom Bundeslandwirtschaftsministerium veröffentlichter Bericht, der mehrere Studien der vergangenen Jahre auswertet.

Zu 52 Prozent dafür verantwortlich sind demnach die privaten Haushalte. Sie werfen 6,14 Millionen Tonnen Lebensmittel in die Tonne. 18 Prozent fallen bei der Lebensmittelverarbeitung und 14 Prozent bei der Außer-Haus-Verpflegung an. 12 Prozent werden in der landwirtschaftlichen Produktion weggeworfen, und nur 4 Prozent betreffen den Einzelhandel. Pro Kopf wandern damit pro Jahr im Mittel etwa 75 Kilogramm auf den Müll.

Ziel: Lebensmittelabfälle bis 2030 halbieren

"In jedem Produkt stecken wertvolle Ressourcen: Wasser, Energie, Rohstoffe, aber auch Arbeitskraft, Sorgfalt - und Herzblut." Mit diesen Worten hat Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) im Februar eine "Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung" auf den Weg gebracht. Das Ziel, das auch von der EU gefordert wird: Lebensmittelabfälle bis 2030 halbieren.

Julia Klöckner / © Kay Nietfeld (dpa)
Julia Klöckner / © Kay Nietfeld ( dpa )

Die für 2015 geltende neue Statistik setzt deshalb eine Marke: Damit ist klar, dass bis 2025 rund 3,6 Millionen Tonnen weniger weggeworfen werden sollen, bis 2030 weitere 2,4 Millionen. Klöckner setzt auf Freiwilligkeit. Die Wirtschaft soll etwa für passendere Bestellgrößen, kleinere Warenlieferungen oder Preisaktionen für vor dem Ablauf stehende Lebensmittel sorgen.

Junge Familien sollen für ein bewussteres Einkaufen sensibilisiert werden. Und Bund und Länder sollen prüfen, ob es Hürden fürs Weitergeben unverkaufter Lebensmittel an gemeinnützige Organisationen gibt.

Ist Freiwilligkeit der zielführende Weg?

Tafeln in Deutschland

Die bundesweit agierenden Tafeln haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland entwickelt. Waren es 2002 noch gut 300, gibt es heute bundesweit etwa 900 Tafeln mit rund 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Bei ihnen engagieren sich circa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle zusammen versorgen sie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln, die sie als Spenden im Handel und bei Herstellern gesammelt haben.

Helfer sortieren  Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Helfer sortieren Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )

Dass es solche Hürden gibt, ist klar: Im Juni wandten sich die Justizminister der Länder gegen eine Initiative Hamburgs, das Mitnehmen weggeworfener Lebensmittel aus Abfallbehältern nicht mehr als Straftat zu bewerten.

Ob Freiwilligkeit der zielführende Weg ist, ist umstritten. Das französische Parlament hat 2016 ein Gesetz zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung erlassen. Große Supermärkte müssen unverkaufte Lebensmittel an örtliche Tafeln oder gemeinnützige Organisationen spenden.

Ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums nahm dazu am Donnerstag nicht direkt Stellung, verwies aber darauf, dass zahlreiche Supermärkte in Deutschland unverkaufte und noch genießbare Lebensmittel auf freiwilliger Basis an die Tafeln oder andere soziale Einrichtungen abgäben. "Die Tafeln retten pro Jahr über 260.000 Tonnen Lebensmittel aus etwa 30.000 Lebensmittelmärkten.

In Frankreich liegt die Zahl der geretteten Lebensmittel - trotz Gesetz - bei lediglich 46.200 Tonnen", hieß es aus dem Ministerium.

Forderungen nach Anti-Wegwerf-Gesetz

Dennoch wurden erneut Stimmen laut, die von Klöckner ein Anti-Wegwerf-Gesetz verlangen. SPD, Grüne und Linke forderten klare gesetzliche Regelungen. Die Grünen-Sprecherin für Ernährungspolitik, Renate Künast, bezeichnete die Strategie der freiwilligen Selbstverpflichtungen als absurd und unzureichend. Sie kündigte an, dass die Grünen in Kürze einen Antrag für ein Anti-Wegwerf-Gesetz in den Bundestag einbringen wollten.

Fest steht, dass das Bewusstsein für das Thema gewachsen ist. Seit 2012 gibt es etwa die Initiative "foodsharing", die über 200.000 Nutzer in Deutschland, Österreich, der Schweiz hat. Dort können Privatpersonen Lebensmittel, die sie nicht mehr brauchen, zum Verschenken anbieten. Zudem gibt es Kooperationen mit zahlreichen Supermärkten, in denen aussortierte Waren abgeholt werden.

Nach einer im Sommer veröffentlichten Studie der Universität Stuttgart nehmen außerdem immer mehr Supermärkte und Discounter auch krummes Bio-Obst und -Gemüse in ihr Angebot auf. Bei Aldi etwa heißen sie "Die krummen Dinger", und bei Penny gibt es seit 2016 die "Naturgut-Biohelden".

Die Bundesregierung hat die bundesweite Initiative "Zu gut für die Tonne" gegründet. Sie gibt Tipps, wie man Einkäufe besser plant, Lebensmittel zu Hause richtig lagert oder Reste verwertet. Dazu gibt es fast 600 Rezepte, die verraten, was man also mit altem Brot und Gemüseresten im zweiten Anlauf noch auf den Tisch zaubern kann.

Quelle:
KNA