Im Streit über "Judensäue" rechtfertigt neues Urteil den Erhalt

"Das Schwein des Anstoßes"

Ein Schwein und drumherum Menschen, die an seinen Zitzen saugen oder in dessen After schauen. Die "Judensau"-Darstellungen stehen seit dem Mittelalter für dumpfen Antisemitismus. Gehören sie deswegen beseitigt?

Darstellung an der Stadtkirche in Wittenberg / © Norbert Neetz (KNA)
Darstellung an der Stadtkirche in Wittenberg / © Norbert Neetz ( KNA )

Sie ist eine Wiege der Reformation: Von der Wittenberger Stadtkirche ging die Botschaft Martin Luthers (1483-1546) und seiner Mitstreiter in die Welt. Lucas Cranach der Ältere (1472-1553) schuf für das Gotteshaus einen weithin gerühmten und berühmten Altar. An der Außenmauer der Kirche wirft indes eine Steinmetzarbeit aus dem Mittelalter einen Schatten auf die Glorie vergangener Tage.

Auf dem Sandsteinrelief ist ein Rabbiner zu sehen, der den Ringelschwanz eines Schweins anhebt. Weitere Figuren suchen ganz offenbar nach den Zitzen des Tieres. Das Schwein gilt den Juden als unrein. Das Bildmotiv "Judensau" gehört seit dem Mittelalter zu den übelsten Schmähungen des Judentums. Noch heute finden sich entsprechende Darstellungen an rund 30 evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland. Die Liste reicht vom 700 Jahre alten Chorgestühl des Kölner Doms über zwei Figuren am Martinsmünster im elsässischen Colmar bis hin zu einem Säulenkapitell im Kreuzgang des Doms in Brandenburg an der Havel.

Denkmalschutz und Gedenkkultur

Der Streit über Erhalt oder Entfernung dieser Darstellungen wogt seit Jahren hin und her. Zum Wittenberger Exemplar gibt es nun eine neue Entscheidung. Am Freitag wies das Landgericht Dessau-Roßlau die Klage eines Mitglieds der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ab, der sich durch das Relief beleidigt fühlte.

Die evangelische Stadtkirchengemeinde habe das Relief weder hergestellt noch selbst angebracht, urteilten die Richter. Es sei Bestandteil eines denkmalgeschützten historischen Gebäude, zudem seien am Fuß der Stadtkirche ein Mahnmal und eine Gedenktafel angebracht, die Bestandteil einer "Gedenkkultur" seien. Rechtskräftig ist das Urteil jedoch noch nicht. 

Auch Denkmalschützer und Wissenschaftler verfolgen die Debatte mit einer Portion Skepsis. Man müsse lernen, auch mit historisch belasteten Zeugnissen angemessen umzugehen, betonte vor einiger Zeit die Sprecherin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Ursula Schirmer.

Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti ergänzte: "Ich finde es unhistorisch, historische Objekte von antisemitischen Darstellungen zu 'befreien'."

Ratsamer sei es, die entsprechenden Objekte im Zusammenhang zu belassen und sie zugleich eindeutig zu erklären. Letzten Endes ließen sich nur so antisemitische Vorstellungen wirkungsvoll bekämpfen. Eine "formale Entschuldigung für die Fehler unserer Ahnen ohne aktuelle Einstellungskorrekturen" halte er für "Nonsens", fügt Becker-Huberti hinzu.

Problematischer Begriff

Noch beklemmender als die alten "Judensau"-Darstellungen ist ohnehin die Tatsache, dass die Schmähung bis heute im Vokabular von Neonazis präsent ist. In der frühen Neuzeit trug der Buchdruck zur Verbreitung des Bildes bei. Antijüdische Propagandisten griffen es im 19. Jahrhundert auf, in der Weimarer Republik wurden Politiker wie der 1922 ermordete Walther Rathenau als "Judensau" beschimpft. Da konnten die Nationalsozialisten und ihr Hetzblatt "Der Stürmer" aus dem Vollen schöpfen.

Dass "Judensäue" schon im Mittelalter bevorzugt auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation anzutreffen waren, hat laut Becker-Huberti nahe liegende Gründe. "Von hier wurden maßgeblich Kreuzzüge organisiert, hier hatte die Theologie gewichtige 'Stammburgen', von denen aus der Antisemitismus theologisch begründet wurde." Mit fatalen Folgen: "Da er durch diese theologische Unterfütterung als offizielle Lehre erschien, hielten die einfachen Menschen ihn für gerechtfertigt."

Auch Luther verwies in einer seiner Schriften auf die Wittenberger "Judensau", die erst später in den Kirchbau eingefügt wurde.

Ursprünglich diente das Relief wohl der Abschreckung von Juden, die sich in der Stadt niederlassen wollten. Ein erstes Aufenthaltsverbot ist für 1304 belegt.

Das jetzt im Urteilsspruch gewürdigte Mahnmal unterhalb der Darstellung hält auch Denkmalschützerin Schirmer für einen sinnvollen Weg im Umgang mit dem umstrittenen Relief. Oder, wie es Theologe Friedrich Schorlemmer im Auftrag der Stadtkirchengemeinde Wittenberg formulierte: "Geschichte lässt sich nicht einfach entsorgen. Sie gemahnt uns an Dunkles, auch bei dem großen Reformator Martin Luther und seinen Zeitgenossen."


Quelle:
KNA