Neue Debatten um Colonia Dignidad - Kritik von Menschenrechtlern

"Desaströse Entwicklungen"

Der Ex-Arzt der chilenischen Sekte Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, bleibt wohl straffrei. Die Staatsanwaltschaft Krefeld hat die Ermittlungen eingestellt. Kritik kommt von Menschenrechtlern. Sie prüfen eine Beschwerde.

Eingangsbereich der 'Colonia Dignidad' in Parral, Linares, Chile / © Marcelo Hernandez (dpa)
Eingangsbereich der 'Colonia Dignidad' in Parral, Linares, Chile / © Marcelo Hernandez ( dpa )

Menschenrechtler werfen Bundesregierung und Justiz im Fall der Colonia Dignidad eine "Schlussstrich-Mentalität" vor. Mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Krefeld, nach fast acht Jahren ihre Ermittlungen gegen den Ex-Arzt der "Kolonie der Würde" in Chile einzustellen, würden die noch lebenden Verantwortlichen der Sekten-Siedlung mutmaßlich straffrei bleiben, sagte Jurist Andreas Schüller vom Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin.

Die Organisation, die einen Teil der Opfer vertritt, prüft derzeit, ob sie Beschwerde gegen die Entscheidung einlegt. Anfang des Jahres hatte die Staatsanwaltschaft Münster bereits ein weiteres Verfahren gegen einen anderen Bewohner der Colonia Dignidad eingestellt.

Verurteilung in Chile, Flucht nach Deutschland

Ermittelt wurde wegen der Tatvorwürfe der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch, der Beteiligung an der Tötung von drei Oppositionellen im Jahr 1976 und der nicht medizinisch indizierten Abgabe von Psychopharmaka. Hopp war in Chile wegen Beihilfe zur Vergewaltigung von Minderjährigen in vier Fällen und zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in 16 Fällen zu einer Haftstrafe von gut fünf Jahren verurteilt worden. Die Taten wurden laut dem chilenischen Urteil zwischen 1993 und 1997 in der deutschen Sektensiedlung von deren Gründer Paul Schäfer (1921-2010) begangen.

Hopp war 2011 nach der chilenischen Verurteilung nach Deutschland geflohen und lebt in Krefeld. Die von der Staatsanwaltschaft Krefeld geforderte Vollstreckung des chilenischen Urteils in Deutschland hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf im Juli vergangenen Jahres abgelehnt. Die Richter erklärten, das von den chilenischen Richtern festgestellte Verhalten von Hopp sei nach deutschem Recht nicht strafbar. (AZ: III-3 AR 158/17) Die Staatsanwaltschaft Krefeld hatte in ihren nun eingestellten Ermittlungen geprüft, ob Hopp nach deutschem Recht angeklagt werden kann.

Diktatorisches Regime und Abschottung

Die Colonia Dignidad wurde Anfang der 60er Jahre von dem gebürtigen Bonner Paul Schäfer in Chile gegründet. Auf der Anlage rund 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago versprach der aus einem freikirchlichen Umfeld stammende Laienprediger seinen Anhängern ein "urchristliches Leben im Gelobten Land". Tatsächlich führte Schäfer ein diktatorisches Regime und schottete die Sektenmitglieder von der Außenwelt ab.

Zu den Vorwürfen zählten unter anderem Freiheitsberaubung, Zwangsarbeit und Sklaverei, Kindesmissbrauch, Körperverletzung, Folter und Verabreichung von Psychopharmaka ohne medizinische Indikation. Während der Militärdiktatur (1973-1990) wurden in der Colonia Dignidad Hunderte Regimegegner vom chilenischen Geheimdienst gefoltert und Dutzende ermordet.

Entscheidung über Anerkennungszahlungen

Unterdessen berichtet die ARD unter Berufung auf ein vertrauliches Sitzungsprotokoll, dass die aus 13 Mitgliedern bestehende Kommission von Bundesregierung und Bundestag am kommenden Montag eine Entscheidung über mögliche Anerkennungszahlungen für die rund 180 Überlebenden der Siedlung treffen will.

Demnach soll aus einem Gesamtfonds jeder Betroffene einmalig circa 5.000 Euro erhalten. Zusätzlich sind Härtefallregelung für Opfer vorgesehen, die zum Teil vier Jahrzehnte lang in der Colonia Dignidad ausgebeutet wurden und heute teilweise mittellos in Chile oder in Deutschland leben. Der Begriff Entschädigung wird laut dem ARD-Bericht vermieden, um keine Präzedenzfälle zu schaffen etwa in der Diskussion über die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen im früheren Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

"Desaströse Entwicklung"

Aus Sicht der Betroffenen seien die jüngsten Entwicklungen "desaströs", so ECCHR-Experte Schüller. Die im Raum stehende Summe von 5.000 Euro für jedes Opfer entspreche in keiner Weise dem erlittenen Unrecht. "Als die Colonia Dignidad existierte, hat die Bundesregierung jahrelang weggeschaut. Jetzt ist sie offenbar immer noch nicht bereit, wirklich Verantwortung zu übernehmen."


Hartmut Hopp / © Marcelo Agost (dpa)
Hartmut Hopp / © Marcelo Agost ( dpa )

Überwachungsraum der Colonia Dignidad / © Villa Baviera/Handout (dpa)
Überwachungsraum der Colonia Dignidad / © Villa Baviera/Handout ( dpa )
Quelle:
KNA , epd
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