Kardinal Woelki zur Debatte um Trisomie-Bluttest

"Menschen nicht nach ihrem Nutzwert beurteilen"

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki kritisiert die Debatte über die Kostenübernahme des Trisomie-Bluttests. Die Praxis zeige, dass heute etwa 90 Prozent aller Kinder, bei denen das Down-Syndrom festgestellt wird, abgetrieben werden.

Kardinal Woelki (DR)
Kardinal Woelki / ( DR )

Herr Kardinal, der Deutsche Bundestag spricht in dieser Woche über den Bluttest, mit dem unter anderem die Trisomie 21, also das Down-Syndrom, schon vor der Geburt festgestellt werden kann. Jetzt soll dieser Test vielleicht sogar Kassenleistung werden. Was meinen Sie?

Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Es beunruhigt mich, dass wir nur noch von der Kostenübernahme reden. Viel wichtiger ist doch das, worum es eigentlich geht: Sagen wir Ja zu jedem Kind? Sind wir eine Gesellschaft, in der jedes Kind willkommen ist? Und wie können wir den Eltern, die das Los tragen, ein krankes oder behindertes Kind zu bekommen, wirkungsvoll helfen? Ich würde viel lieber darüber streiten, ob wir es wirklich ernst meinen mit der Würde eines jeden einzelnen Menschen, ungeachtet seiner Fähigkeiten, seiner Fitness, seines volkswirtschaftlichen Nutzwertes.

Ist es überhaupt falsch, einen solchen vorgeburtlichen Test durchführen zu lassen?

Woelki: Alle Eltern wünschen sich ein gesundes Kind, das ist auch sehr verständlich. Deshalb ist auch die Angst davor, es könnte anders kommen und das Kind sei womöglich behindert, ganz natürlich. Nicht sich selbst, sondern dem Kind, wünscht man von Herzen Gesundheit und Glück, wie sollte es anders sein?

Wenn die Medizin heute vorgeburtlich schon viele Fragen klären kann, ist es logisch, dass viele auf dieses Angebot zurückgreifen, auch als Reaktion auf die eigene Angst und Sorge. Aber was, wenn der Test ungünstig ausfällt? Wie geht es weiter, wenn eine Behinderung auf Grundlage dieser Tests zu befürchten ist oder die Diagnose Down-Syndrom sogar zuverlässig gestellt werden kann?

Hier müssen wir ansetzen, Hilfe anbieten und Mut machen, wir müssen aufzeigen, dass eine solche Nachricht, so erschütternd sie verständlicherweise ist, doch nicht das Ende ist, sondern der Anfang eines unerwarteten Weges. Die Praxis zeigt leider, dass heute etwa 90 Prozent aller Kinder, bei denen durch den Test das Down-Syndrom festgestellt wird, abgetrieben werden – und das ausgerechnet jetzt, da die Fördermöglichkeiten so gut sind wie nie zuvor und wir immer wieder darüber staunen können, was für liebenswerte und zum Teil auch verblüffend kreative Menschen heranwachsen. Ich habe oft mit Eltern gesprochen, die mir erzählt haben, wie glücklich sie mit ihrem Kind sind und wie dankbar, dass sie es haben.

Was tut die Kirche konkret, um Frauen und Männern in dieser Konfliktfrage zu helfen?

Woelki: Im Erzbistum Köln haben wir unter dem Dach der Caritas die Schwangerschaftsberatung "Esperanza" mit vielen lokalen Beratungsstellen und auch mit einem ersten Informationsangebot im Internet.

Dort ist man in guten Händen, wenn es darum geht, mit einer ungewollten Schwangerschaft oder auch mit der Nachricht zurecht zu kommen, dass ein behindertes Kind zu erwarten ist. Diese Beratungsstellen zeigen viele ideelle und auch materielle Unterstützungsmöglichkeiten auf.

Übrigens sollte man Eltern, die sich schwer tun mit der Perspektive, ein behindertes Kind groß zu ziehen, auch auf die Möglichkeit der Freigabe zur Adoption hinweisen. Es gibt Familien, die gern bereit sind, etwa ein Kind mit Down-Syndrom zu adoptieren.

Müsste man Familien mit einem behinderten Kind nicht auch nach der Geburt unterstützen?

Woelki: Genau! Denn die konkreten Schwierigkeiten fangen ja dann erst an, und wir dürfen Familien, die wir in der Schwangerschaft beraten haben, nicht nach der Geburt allein lassen. "Esperanza" bietet viel Hilfe und Unterstützung an, das reicht von medizinischer Beratung bis zu ganz praktischer Lebenshilfe. 

Wenn sich der Trend der Tests und Abtreibungen weiter fortsetzt, könnte es sein, dass es bald immer weniger Menschen mit Behinderungen gibt.

Woelki: Es wäre ein Armutszeugnis für unsere ganze Gesellschaft, wenn wir behinderte Menschen abschreiben und im Stich lassen, wenn wir uns nicht für jeden einzelnen Menschen mit aller Kraft einsetzen würden. Wichtiger als die Kassenleistung für den Bluttest wäre eine solidarische Kraftanstrengung, um Familien mit behinderten Kindern zu unterstützen.

Übrigens gilt die Frage ja nicht nur am Lebensanfang, sondern auch am Lebensende, wenn Menschen zu Pflegefällen werden. Jeder von uns kann noch zu einem "Behinderten" werden. Sind wir dann noch gewollt? In Zeiten, in denen immer mehr nach dem Nutzwert eines Lebens gefragt wird, sollten wir dem Leben selbst eine Schneise schlagen und das bedingungslos, vom Anfang im Mutterleib bis zum letzten Atemzug.

Hinweis

Das Interview wurde für die Kirchenzeitung Köln geführt.


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