Internationale Wissenschaftler für Stopp bei Keimbahneingriffen

Gentechnik-Pioniere sind aufgeschreckt

Designerbabys - für viele eine Horrorvorstellung. Deshalb hat ein chinesischer Wissenschaftler die Welt mit der Behauptung aufgeschreckt, er habe den ersten genveränderten Babys zur Geburt verholfen. Gibt es ein Halten?

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Sie sind Pioniere der Gentechnik. Und doch sind sie beunruhigt über die stürmische Entwicklung, die die neue Methode der Genschere Crispr/cas ausgelöst hat. Berichte, nach denen ein chinesischer Wissenschaftler quasi im Alleingang dafür gesorgt hat, dass die weltweit ersten Kinder mit manipuliertem Erbgut geboren wurden, haben sie aufgeschreckt. Der chinesische Biophysiker He Jiankui hatte Ende November die Geburt von Zwillingsmädchen verkündet, die durch gentechnische Veränderungen resistent gegen HIV sein sollen.

Erfindung hatte Euphorie ausgelöst

Die Erfindung der Genschere hatte im Jahr 2012 Euphorie ausgelöst. Mit dem biotechnischen Verfahren können Wissenschaftler das Erbgut von Pflanzen, Tieren und Menschen weit gezielter verändern als bislang. Durch die mit einer "Hochpräzisions-Schere" verglichene Technik können einzelne Gene oder kleinste DNA-Bausteine eingefügt, verändert oder ausgeschaltet werden. In der Medizin erwarten Forscher, dass menschliche Gendefekte repariert und Erkrankungen wie Malaria oder Mukoviszidose verhindert werden können. Auch Eingriffe in die menschliche Keimbahn rücken näher - und das ist ein großes Problem.

Moratorium

Am Mittwochabend haben nun 18 Wissenschaftler aus 7 Ländern ein Moratorium für solche Eingriffe in die menschliche Keimbahn gefordert. In einem Beitrag im Fachjournal "Nature" schlagen sie eine freiwillige Verpflichtung aller Nationen vor, vorerst auf den klinischen Einsatz solcher Erbgutmanipulationen zu verzichten. Die Anwendung sei erst denkbar, wenn auch die langfristigen Auswirkungen verstanden seien.

Nach einem festgelegten Zeitraum - die Rede ist von fünf Jahren - soll jedoch Spielraum für Anwendungen eröffnet werden, heißt es. Jede Gesellschaft solle dann in Abhängigkeit von der eigenen Geschichte, Kultur und den Wertvorstellungen selbst entscheiden. Notwendig seien aber ausreichend Zeit für öffentliche Debatten, ein gerechtfertigter Zweck und ein gesellschaftlicher Konsens.

Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehört eine der Erfinderinnen von Crispr/cas, die in Berlin arbeitende Mikrobiologin Emanuelle Charpentier. Auch der frühere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Münchner Biochemiker Ernst-Ludwig Winnacker, die Münsteraner Medizinerin und Philosophin Bettina Schöne-Seifert und die Greifswalder Mikrobiologin Bärbel Friedrich tragen den Aufruf mit.

Zur Klarstellung: Die Unterzeichner sprechen sich nicht für ein prinzipielles Verbot von Eingriffen in die Keimbahn aus. Weil jedoch beim aktuellen Forschungsstand nicht von einer sicheren Nutzung der Technik gesprochen werden könne, soll weiteren Behandlungen vorerst Einhalt geboten werden. Auch sollen Forschung und somatische Gentherapien, die nur Individuen betreffen, weiter stattfinden dürfen.

Eingriffe in menschliche Keimbahn in Deutschland verboten

In Deutschland sind Eingriffe in die menschliche Keimbahn verboten. Denn sie betreffen nicht nur den jeweils behandelten Menschen, sondern auch alle seine Nachkommen. Kritiker sehen auch die Gefahr, dass nicht nur Krankheiten behandelt, sondern Menschen gezielt genetisch "verbessert" werden könnten. Diesem sogenannten Enhancement stehen die Unterzeichner des Appells besonders kritisch gegenüber. Hier bestünden noch weit größere Risiken.

Deutsche Wissenschaftler begrüßten den Vorstoß für ein Moratorium, sehen aber Probleme bei der Umsetzung. Der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz erklärte, die Wissenschaft sei weitgehend einig, dass Keimbahninterventionen zunächst nicht vertretbar seien. Schließlich war schon beim ersten internationalen Gipfeltreffen zum "Human Gene Editing" 2015 in Washington ein Moratorium vorgeschlagen worden. Nach Einschätzung von Taupitz wird eine Umsetzung angesichts weltweit unterschiedlicher Rechtssysteme und ethischer Vorstellungen schwierig.

Die Vorsitzende des Europäischen Ethikrates (EGE), Christiane Woopen, kritisierte, ein Moratorium müsste auch Sanktionen vorsehen. Und die Wiener Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack bemängelte Unschärfen. So sei nicht klar, ob Staaten oder Forschungseinrichtungen das Moratorium in Kraft setzen oder beenden sollten. Ein Konsens wird auch angesichts der zu erwartenden neuen Erkenntnisse nur sehr schwer zu erzielen sein.


Quelle:
KNA
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