Theologe Schockenhoff legt umfassende Friedensethik vor

"Mehr Geld für das Militär ausgeben"

Was kann und was darf Pazifismus? Theologe Eberhard Schockenhoff findet zum Beispiel: Deutschland muss mehr Geld für das Militär ausgeben, um Frieden zu erreichen. Wie das zusammenpasst, erklärt der Moraltheologe im Interview.

Autor/in:
Volker Hasenauer
Was kann und was darf Pazifismus? / © Eugene Garcia (dpa)
Was kann und was darf Pazifismus? / © Eugene Garcia ( dpa )

KNA: Was sind Anlass und Zielsetzung Ihres neuen Überblickbandes zur christlichen Friedensethik?

Prof. Eberhard Schockenhoff (Professor für Moraltheologie an der Universität Freiburg): Es gibt heute Risiken für den Weltfrieden, von denen wir schon dachten, dass sie für immer überwunden sind. Russland ist heute kein Sicherheitspartner des Westens mehr, sondern zu einem aggressiven Gegenspieler auf der weltpolitischen Bühne geworden. Der Mittlere Osten ist ein explosiver Kriegsherd. Schließlich haben mit dem internationalen Terrorismus die kriegerischen Auseinandersetzungen völlig neue Formen angenommen. Diese veränderten Bedingungen stellen auch die christliche Friedensethik vor neue Fragen.

KNA: Aber spielen diese ethischen Überlegungen beim machtpolitischen Kalkül der Außenpolitiker und Staatschefs überhaupt eine Rolle?

Schockenhoff: Die internationale Politik bedarf immer einer normativen Orientierung. Wir müssen eine Vision einer Ordnung der internationalen Staatengemeinschaft haben, um den Frieden dauerhaft zu sichern. Dazu können die Kirchen in ihrer langen Tradition der Friedensethik Wesentliches beitragen.

KNA: Konkret: Sehen Sie in der deutschen Außenpolitik eine normative Orientierung? Oder hangelt man sich doch eher nur von Krise zu Krise?

Schockenhoff: Die deutsche Politik lebte zu lange von der Hoffnung, dass wir nach dem Zusammenbruch des Kalten Krieges in eine Epoche des immerwährenden Friedens eingetreten sind. Das war trügerisch. Ein Problem ist, dass die Bundeswehr den neuen Herausforderungen nicht gewachsen ist: Terrorismusbekämpfung, Bündnissolidarität auch außerhalb Europas, humanitäre Interventionen, viele Auslandseinsätze. Insofern hat die Bundesrepublik im Augenblick kein kohärentes Konzept, wie sie den Frieden in der Welt und ihre eigene Sicherheit bewahren möchte.

KNA: Sie plädieren also für höhere Militärausgaben als Bedingung für eine bessere deutsche Friedenspolitik?

Schockenhoff: Die militärische Friedenssicherung ist nur eine und keineswegs die wichtigste Komponente. Vielmehr ruhen das Konzept des "peace building", das langfristige Arbeiten für Frieden und der Kampf gegen die Ursachen von Gewalt und Krieg, auf vier Säulen: Erstens ist der Schutz der Menschenrechte entscheidend. Wo sie geachtet werden, herrscht eine friedliche Ordnung des Lebens. Zweitens geht es um Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ein diktatorisches Regime, das seine Macht im Inneren nur mit Gewalt sichert, neigt dazu, Gewalt und Krieg auch zu exportieren. Die dritte Säule sehe ich in der Förderung des internationalen Handels. Ein freier Welthandel hat eine enorme friedenssichernde Macht, weil er die Staaten miteinander verbindet.

Und viertens dürfen wir uns nicht damit abfinden, dass die Vereinten Nationen zum Papiertiger verkommen sind. Alle entscheidenden Probleme der Welt vom Klimaschutz bis zur Bekämpfung von Armut und Hunger können wir heute nicht mehr im nationalen Rahmen lösen. Dabei geht es nicht um einen einzigen Weltstaat; eine solche Mega-Organisation würde die Vielfalt der Kulturen bedrohen. Aber das Fernziel – gerade auch der christlichen Friedenslehre – ist sehr wohl eine oberste Weltautorität, die in der Lage ist, Sanktionen durchzusetzen, wenn Staaten sich gegen die allgemeine Friedenspflicht verhalten. Zur Stärkung der UNO gibt es keine Alternative.

KNA: Wie sicher ist die EU als weltweit beispielloses Friedensprojekt – etwa im Blick auf neue Konflikte mit Russland?

Schockenhoff: Europa war Jahrhunderte lang ein virulenter Kriegsherd, der Gewalt und Elend in alle Welt exportiert hat. Zuletzt im Zweiten Weltkrieg. Nach dieser Katastrophe ist ein Friedensprojekt gewachsen, das mit seiner Sicherheitsarchitektur zur Blaupause für andere Weltregionen werden könnte. Zugleich macht derzeit beispielsweise der Ukraine-Konflikt schmerzlich deutlich, dass auch das Friedensprojekt Europa keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

KNA: Kann ich angesichts der politischen Realitäten Pazifist sein? Oder ist Jesu Botschaft der Gewaltlosigkeit heute schlicht weltfremd?

Schockenhoff: Ich sehe ein moralisches Dilemma des Pazifismus. Wer prinzipiell auf den Einsatz von Gewalt verzichtet und dafür eigene Nachteile und Leiden in Kauf nimmt, kann sich darauf berufen, dass dies der einzige Weg sei, um langfristig Konflikte zu verhindern und der Gegenseite die eigenen guten Absichten zu vermitteln. Aber wenn es darum geht, dass andere Menschen Opfer von ungerechter Gewalt werden, ist der pazifistische Verzicht auf Gewalt ungeeignet. Denn dann würde Pazifismus bedeuten, wegzuschauen und die Leidenden ihrem Schicksal zu überlassen. Wenn Unschuldige Opfer brutaler Gewalt werden, kann man nicht abseits stehen. Ein Staat von der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung Deutschlands kann sich humanitären Interventionen nicht grundsätzlich entziehen – auch nicht mit dem Verweis auf die eigene Geschichte.


Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologie / © Harald Oppitz (KNA)
Eberhard Schockenhoff, Professor für Moraltheologie / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA