Neue Kirchenoffensive bei der Missbrauchsaufarbeitung?

"Gegenwind wird kommen"

Es waren neue Töne bei der Missbrauchsaufarbeitung. Die Bischöfe Wilmer und Burger hatten jüngst ihren früheren Bistumsleitungen bei dem Thema schwere Fehler vorgeworfen. Was denkt ein Theologe und selbst Missbrauchsopfer darüber?

 (DR)

DOMRADIO.DE: Erst meldete sich Hildesheims Bischof Heiner Wilmer zu Wort und warf seinem verstorbenen Amtsvorvorgänger Versagen vor. Dann äußerte sich der Freiburger Erzbischof Stephan Burger auf ähnliche Weise. Sein Vorgänger und Verantwortliche in der Bistumsleitung hätten Hilferufe ignoriert und so Schuld auf sich geladen. Begrüßen Sie die verbalen Vorstöße der beiden deutschen Bischöfe?

Prof. Wolfgang Treitler (Professor für Fundamentaltheologie in Wien): Ja. Ich begrüße sie grundsätzlich, weil sie, glaube ich, vom Versuch getragen sind, in diese Geschichten wirklich Offenheit und Transparenz hineinzubringen. Man kann das nicht mehr zurückhalten. Ich bin froh, dass das jetzt wirklich auch aufgenommen wird.

DOMRADIO.DE: Sowohl Bischof Wilmer als auch Erzbischof Burger sind beide relativ neu im Amt und für Bischöfe sind sie mit 57 beziehungsweise 56 Jahren auch noch relativ jung. Kann das im Umkehrschluss bedeuten, dass es für echte Aufklärung, also für eine echte Kehrtwende im Umgang mit Missbrauch, neue und unbeteiligte Gesichter bräuchte?

Treidler: Das mag hilfreich sein, weil diese Leute auch in die Zeit hineingewachsen sind, wo man der Kirche schon genauer zusieht, was sie tut und wie sie ihre Dinge vertritt, und das nicht einfach hinnimmt.

Auf der anderen Seite sehe ich eigentlich nichts anderes repräsentiert als das, was kirchlichen Menschen grundsätzlich zu Gesicht stehen muss: Nämlich die Bereitschaft und auch den Vollzug ständiger Umkehr. Das ist zumindest hier mal an zwei "Leuchten" sichtbar geworden.

DOMRADIO.DE: Sie begrüßen diesen Vorstoß. Aber wirft er bei Ihnen nicht auch Fragen auf?

Treidler: Ich hoffe, dass diese beiden Bischöfe genug Rückgrat haben, um möglichen Gegenwind durchzustehen. Ich sehe das jetzt auch am Beispiel Pater Wucherpfennig (Dem Rektor der Jesuitenhochschule Sankt Georgen wird vom Vatikan bislang eine dritte Amtszeit nach Aussagen zur Homosexualität verweigert, Anm. d. Red.), wie beinhart vatikanische Institutionen auf irgendwelche Dinge, die wirklich peripher sind, reagieren, wo es nicht um Schicksale geht, sondern um Aussagen. Das ist eine Sache, die sehe ich als ein Riesenproblem. Da hoffe ich wirklich für diese beiden Bischöfe, dass sie Leute mitnehmen, die mit ihnen am gleichen Strang ziehen und auch dem Gegenwind, der sicher kommen wird, widerstehen können.

DOMRADIO.DE: Was für Konsequenzen müssten die Bischöfe, was Fragen des Missbrauchs, aber auch vor allen Dingen den innerkirchlichen Umgang damit angeht, jetzt ziehen?

Treidler: Ich glaube, eine ganz wichtige Sache wäre, dass man nicht nur mit den Missbrauchsopfern in ein offenes Gespräch kommt, sondern dass man auch untereinander – die Bischöfe, die Kirchenleitungsstellen, die Priester und die Ordensleute – in ein Gespräch eintritt, das nicht von vornherein schon in der Richtung bestimmt ist, sondern im besten Sinn demokratisch ist. Also dass man dem Volk nicht nur zuhört, sondern auch die Stimme des Volkes hört, die hier meines Wissens viel maßgeblicher ist als das, was man von den Kirchenleitungen aus hier sagt. Es geht um eine wirklich offene Atmosphäre.

Ich möchte auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass der – was man auch im Zusammenhang mit Pater Wucherpfennig gesehen hat – Ton der Denunziation etwas ist, das alle diese Fragen erstickt. Das gehört unbedingt bereinigt. Wenn es solche Leute gibt, die sich auf Denunzierung verstehen, dann gehören diese Leute ausgehoben und dafür belangt.

DOMRADIO.DE: Woran könnten wir denn sehen, was ernst gemeint ist und was wirklich eine solche Umkehr von altem Fehlverhalten ist?

Treidler: Ich glaube, eine wichtige Sache wäre, dass man diese Dinge nicht nur innerkirchlich, sondern – wie das auch vorgeschlagen wird – mit öffentlichen Stellen bearbeitet. Und dass man sich auch – ich sage das bewusst, zumal ich das ja auch selbst erlebt habe und bis heute erlebe – der eigentümlichen Scham annimmt, die die Betroffenen immer noch umgibt.

Man ist irgendwie beschädigt und man bleibt beschädigt. Man ist nicht ein Fall, sondern man hat ein individuelles Schicksal. Das muss Raum haben und auch zur Sprache gebracht werden. Selbst wenn das Grundfeste oder auch Grundlagen kirchlicher Lehre infrage stellen mag.

DOMRADIO.DE: Sie wissen, wovon Sie reden. Sie sind selbst ein Betroffener. Haben Sie denn persönlich von diesem vermeintlich neuen Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauch und Missbrauchsaufarbeitung irgendwas gespürt bisher?

Treidler: Ich habe die österreichische Missbrauchskommission ein bisschen kennengelernt. Ich habe das für einen guten Schritt empfunden. Ich habe aber auch erlebt, wie das im Lauf der Zeit einer Aufarbeitung langsam eingeschlafen ist und man irgendwie froh war, darüber halbwegs hinweg gekommen zu sein.

Ich glaube, es ist auch etwas, das ich an mir selbst erlebe. Die Zeit läuft einem davon und man wird der Sache auch hin und wieder müde und möchte nicht nochmals diese ganzen Dinge aufgewärmt bekommen. Man muss auch schauen, dass man mit sich selbst irgendwie ins Reine kommt. Das ist sicher auch ein Problem, weil es eine Situation nochmals wachruft, die man durchlebt hat. Es hat einem damals niemand geholfen – außer die eigene Stärke. Und das bleibt in diesen Fragen irgendwie an einem haften.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR