Ein Kommentar zum Versagen der Kirche im Umgang mit Missbrauch

"Ein anhaltendes Problem!"

Die erschreckenden Zahlen liegen auf dem Tisch: Missbrauch hat es in allen deutschen Bistümern gegeben. Doch wo bleiben neben Scham und Entschuldigungen personelle Konsequenzen? Das fragt sich DOMRADIO.DE Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen.

Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen / © Edgar Schoepal (DR)
Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen / © Edgar Schoepal ( DR )

"Sexueller Missbrauch durch katholische Kleriker ist ein anhaltendes Problem!" Für mich ist das der zentrale Satz der am Dienstag in Fulda veröffentlichten Missbrauchs-Studie, die das erschütternde Versagen meiner Kirche anschaulich dokumentiert. Auf 356 Seiten versuchen die Wissenschaftler zu erklären, was nicht zu erklären ist. Es ist völlig überflüssig, über die genaue Zahl der Betroffenen zu diskutieren. Jeder einzelne Minderjährige, der von Amtsträgern der Kirche misshandelt wurde, ist ein Opfer zu viel. Die Wissenschaftler sprechen wahrhaftig davon, dass sie beim kirchlichen Versagen nur die "Spitze des Eisberges" sehen konnten: Akten wurden vernichtet und manipuliert. Straftaten vertuscht und nicht gemeldet. Es regierten Lüge und Vertuschung. Macht wurde missbraucht.

Niemand kann jemals wieder von "bedauerlichen Einzelfällen" oder "schwarzen Schafen, die es doch überall gibt" sprechen. Viel zu lange wurde auch an den verantwortlichen Stellen weggesehen. Der Schutz der Institution Kirche stand vor dem Schutz der Betroffenen, auch das ein Ergebnis der Studie. Neue Straftaten wurden so bewusst oder unbewusst in Kauf genommen.

Es sind Fehler des Systems – da sind sich die Wissenschaftler ganz sicher. Reicht es da, wenn Bischöfe jetzt bedauern und um Entschuldigung bitten? Ja, sie wollen sich neben Prävention auch um Konsequenzen bemühen. Um eine unabhängige Aufarbeitung, wie sie Kölns Kardinal Woelki sich und seinem Erzbistum bereits verordnet hat, kommt wohl kein Bistum mehr herum. Aber reicht es, wenn die Kirchenmänner an der Spitze jetzt betonen, sie hätten immer nach den jeweils gültigen (selbst gegebenen) Richtlinien gehandelt? Industriebosse und Politiker übernehmen nur selten eine persönliche, symbolische Verantwortung. Sie werden meistens erst dann aus dem Amt katapultiert, wenn belastbare Akteneinträge sie überführen und der Druck der Öffentlichkeit zu groß wird. "Bei Euch soll es nicht so sein!" - diese Worte Jesus mögen den kirchlichen Machtmenschen Mut machen.

Mir würde es Mut machen, wenn wenigstens ein einziger verantwortlicher Kirchenmann aufsteht und bekennt: "Ich bin selber kein Täter. Aber ich bin mitverantwortlich für das System und möchte ein Zeichen setzen. Ich habe leider viel zu lange geschwiegen und weggesehen. Ich habe es gut gemeint und wollte Schaden von meiner Kirche abwenden. Ich habe so Opfer verraten und Täter geschützt. Heute sehe ich, dass das falsch war. Dafür übernehme ich die ganze Verantwortung. Ich kann nicht länger in meinem Amt bleiben und bitte die Opfer, meine Kirche und Gott um Vergebung." Alle aber, die in der Kirche auch zukünftig Verantwortung tragen, müssen alles in ihrer Macht stehende tun, dass der Kernsatz der Wissenschaftler unwahr wird: "Sexueller Missbrauch durch katholische Kleriker ist ein anhaltendes Problem!"


Quelle:
DR