NRW-Ministerpräsident Laschet zum Geiseldrama von Gladbeck

"Es war damals auch Staatsversagen"

30 Jahre nach dem Geiseldrama von Gladbeck bittet NRW-Ministerpräsident Armin Laschet die Opfer um Entschuldigung. Jahrzehntelang sei in Nordrhein-Westfalen die Rede davon gewesen, alles sei richtig gelaufen. Diesen Kreislauf müsse man durchbrechen.

Die bewaffneten Geiselnehmer Dieter Degowski (l) und Hans-Jürgen Rösner stehen in dem in Bremen gekaperten Linienbus  / © Hartmut Reeh (dpa)
Die bewaffneten Geiselnehmer Dieter Degowski (l) und Hans-Jürgen Rösner stehen in dem in Bremen gekaperten Linienbus / © Hartmut Reeh ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum ist Ihnen dieses Gedenken 30 Jahre nach diesem Geiseldrama so wichtig, dass Sie es zur Chefsache machen?

Armin Laschet (CDU, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen): Viele haben diese Bilder vor 30 Jahren gesehen. Und die, die sie nicht gesehen haben, sind noch einmal durch einen sehr authentischen ARD-Zweiteiler darauf hingewiesen worden. Das war der vielleicht dramatischste Kriminalfall in der Nachkriegsgeschichte, weil 54 Stunden lang alle Menschen das Geschehen live im Fernsehen sehen konnten: Die Entführung in der Bank, die Entführung des Busses in Bremen, dann die Bilder aus Köln, wo die Journalisten rund um das Auto standen und Interviews mit Silke Bischoff und den anderen Opfern machten und dann am Ende der Zugriff in der Nähe von Bonn.

Es hat nie eine Entschuldigung in Nordrhein-Westfalen gegeben. Der Bremer Senat hat damals sofort Konsequenzen gezogen, hat das Thema aufgearbeitet, der damalige Innensenator ist zurückgetreten. Und in Nordrhein-Westfalen war 30 Jahre die Rede davon: Es war alles richtig. Wir haben keine Fehler gemacht. Ich fand, dass zu diesem Zeitpunkt jetzt gegenüber den Opfern auch der Staat einmal sagen muss: Nein, damals ist vieles falsch gelaufen. Deshalb gehe ich an das Grab von Silke Bischoff, treffe die Mutter und werde diese Aussage für unser Land dort machen.

DOMRADIO.DE: Wie werden Sie diese Entschuldigung vorbringen, was ist Ihnen wichtig?

Laschet: Ich habe auch mit der Mutter schon im Vorfeld Kontakt gehabt. Ich finde wichtig, dass das Land das sagt, was viele Menschen denken und was sie auch selbst so empfindet. Das bringt ihr ihre Tochter nicht zurück. Das nimmt ihr auch nicht den Schmerz. Aber dass ein Land immer sagt: Wir haben recht. Es war nichts falsch. Und drei Menschen haben damals das Leben verloren. Ich glaube, diesen Kreislauf muss man durchbrechen. Das will ich zusammen mit dem Bremer Kollegen und der niedersächsischen Kollegin machen.

DOMRADIO.DE: Warum hat es denn 30 Jahre lang gedauert, bis sich dieses Land wirklich um das Versagen kümmert? 

Laschet: Ich weiß es nicht. Es war damals auch ein parteipolitischer Streit. Man wollte das nicht eingestehen. Deshalb finde ich, jetzt ist die Zeit zu sagen: Es war damals auch Staatsversagen. 

DOMRADIO.DE: In diesem Jahr wurde einer der Geiselnehmer aus der Haft entlassen. Er kann jetzt mit neuer Identität in Freiheit leben. Viele verstehen das nicht. Was sagen Sie denen?

Laschet: Denen muss man erklären: Das ist Rechtsstaatlichkeit. Jemand hat Jahrzehnte im Gefängnis gesessen. Aber lebenslänglich ist halt auch auf eine bestimmte Zeit begrenzt. Der zweite Täter sitzt ja noch in Sicherungsverwahrung, weil man davon ausgegangen ist, dass von ihm noch Gefahren ausgehen. Aber auch ein Mörder wird irgendwann, nach vielen Jahrzehnten, das Gefängnis verlassen. Das ist die andere Seite unseres Rechtsstaats.


NRW-Ministerpräsident Armin Laschet / © Federico Gambarini (dpa)
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet / © Federico Gambarini ( dpa )

Das Grab der getöteten Silke Bischoff auf dem Friedhof in Heiligenrode / © Carmen Jaspersen (dpa)
Das Grab der getöteten Silke Bischoff auf dem Friedhof in Heiligenrode / © Carmen Jaspersen ( dpa )
Quelle:
DR