Ethikratsvorsitzender über Grenzen der Fortpflanzungsmedizin

Hausaufgaben auf internationaler Ebene

Das weltweit erste "Retortenbaby" kam 1978 in England zur Welt, das erste deutsche 1982 in Erlangen. Seitdem steigen die Zahlen, der medizinische Fortschritt macht immer mehr möglich. Doch wo sind die ethischen Grenzen?

40 Jahre alt: "Retortenbaby" Louise Brown / © Jonathan Brady (dpa)
40 Jahre alt: "Retortenbaby" Louise Brown / © Jonathan Brady ( dpa )

DOMRADIO.DE: 2015 wurden in der Bundesrepublik erstmals über 20.000 Jungen und Mädchen mit Hilfe der Reproduktionsmedizin geboren. Zum Vergleich: 2011 waren es laut offiziellem Register erst 7.000. Weltweit sind es mittlerweile mehr als acht Millionen. Die katholische Kirche lehnt künstliche Befruchtungen ab. Was spricht denn gegen die künstliche Befruchtung?

Prof. theol. Peter Dabrock (Vorsitzender des deutschen Ethikrates): Vielleicht sollten wir erst mal fragen, was dafür spricht. Dafür sprechen die glücklichen Eltern, die Möglichkeit, dass das Ideal, das die Kirchen immer vertreten, nämlich ein gutes Leben in der Familie zu führen, realisiert werden kann. Und diese Technik gibt eben Menschen, die viele Jahre lang ihren Kinderwunsch nicht realisieren konnten, Hoffnung. Und diese Hoffnung kann - das sehen wir in vielen Bereichen des Lebens - in eine solche Überhoffnung münden, dass sie dann wirklich auch schon zu einer Manie wird.

Das ist natürlich eine Gefahr. Und dort, wo Menschen wirklich geradezu zwanghaft etwas wünschen, werden dann auch oft bestimmte Industrien tätig. Das sind natürlich immer Gefahren gewesen, die sich hier mit der In-vitro-Fertilisation verbunden haben, die sich aber auch mit vielen anderen Techniken verbinden.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, durch die neuen Techniken und die neuen Möglichkeiten in der Medizin, wird so eine Hoffnung geschürt. Die Fortpflanzungsmedizin hat sich ja rasant verändert. In diesen vierzig Jahren hat sich vieles geändert, vieles ist heute möglich, das damals noch undenkbar war. Die Frage drängt sich auf: Sollte alles, was wissenschaftlich möglich, auch umgesetzt werden?

Dabrock: Die Fortpflanzungsmedizin und diese ungeheure Dynamik, die sich in den letzten 40 Jahren dort aufgetan hat, werfen uns nochmal auf uns selbst zurück. Die Entwicklung lässt uns fragen, wie wir Fortpflanzung verstehen wollen. Wer soll, wer darf sich verantwortungsvoll fortpflanzen? Da gibt es sicher viele Möglichkeiten, die uns gezeigt haben, dass wir neu nachdenken müssen.

Beispielsweise in den ganzen Debatten, die wir zum Familienideal hatten: Was ist Familie? Kommt es auf den Trauschein an? Oder kommt es vor allem darauf an, dass Menschen lange und verbindlich bereit sind, ihre Treue in guten und schweren Tagen dies und jenseits von Formularen einander zu versprechen? Aber eben dann auch die Frage: Wie ist das Verhältnis von Fortpflanzung und Familie?

Da sehe ich beispielsweise eine Grenze darin, wenn Frauen auch in Drittländern als Leihmütter eingesetzt werden, dann haben sie kein inneres Verhältnis mehr oder dürfen oft keine Beziehung mehr zu dem Kind, das sie ausgetragen haben, haben. Und das ist für mich ein Punkt: Wenn man miterlebt hat, wie solche Frauen Schwangerschaft erleben, dann wird man da auf jeden Fall eine Grenze ziehen, die auch akzeptiert werden muss.

DOMRADIO.DE: Und was muss geschehen, damit diese Grenzen auch eingehalten werden?

Dabrock: Das sind sehr komplizierte Arrangements. Auf der einen Seite haben wir beispielsweise natürlich Reglements in Deutschland, dass beispielsweise die Leihmutterschaft verboten ist. Aber wir wissen, wie schwierig das auf internationaler Ebene ist einzuhalten. Und wenn dann so ein Kind ausgetragen worden ist, stellt sich die Frage, wie man dann verfährt und was das Beste für das Kind ist. Denn das Kindeswohl muss ja immer im Mittelpunkt stehen. Da müssen noch viele Hausaufgaben auf internationaler Ebene getätigt werden.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Information

Der Deutsche Ethikrat beschäftigt sich mit den großen Fragen des Lebens. Mit seinen Stellungnahmen und Empfehlungen gibt er Orientierung für die Gesellschaft und die Politik. Die Mitglieder werden vom Präsidenten des Deutschen Bundestages ernannt.

Der Deutsche Ethikrat hat sich am 11. April 2008 auf der Grundlage des Ethikratgesetzes konstituiert  und die Nachfolge des im Jahr 2001 von der Bundesregierung eingerichteten Nationalen Ethikrates angetreten. In den ersten zehn Jahren seiner Tätigkeit hat der Deutsche Ethikrat 14 umfangreiche Stellungnahmen erarbeitet, unter anderem zu den Themen Anonyme Kindesabgabe, Intersexualität, Präimplantationsdiagnostik, Gendiagnostik, Patientenwohl und Big Data. Er hat sich damit große Anerkennung als wichtiger und geschätzter Impulsgeber für die Beratung der Politik aber auch der breiten Öffentlichkeit verdient.


Ethik-Professor Peter Dabrock  / © Uwe Zucchi (dpa)
Ethik-Professor Peter Dabrock / © Uwe Zucchi ( dpa )
Quelle:
DR