Vor 25 Jahren: Karlsruhe kippt Paragraf-218-Reform

Lebensrecht gegen Selbstbestimmungsrecht

Am Thema Abtreibung rührt keine Partei gerne. Denn in den 90er Jahren wurde die Debatte hoch emotional geführt. Vor 25 Jahren kippte Karlsruhe die vom Bundestag beschlossene Regelung für das wiedervereinigte Deutschland.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Es war ein hoch emotionaler Konflikt, der bis heute nachwirkt: Der Fall der Mauer machte es notwendig, eine neue gesetzliche Regelung der Abtreibung für das wiedervereinigte Deutschland zu schaffen. Am 28. Mai 1993, vor 25 Jahren, kippte das Bundesverfassungsgericht die im Juni 1992 vom Bundestag beschlossene gesamtdeutsche Fristenregelung mit Beratungspflicht. Danach war ein Abbruch in den ersten zwölf Wochen nicht rechtswidrig, wenn sich die Frau zuvor beraten ließ. Bayern und 249 Abgeordnete der CDU/CSU hatten in Karlsruhe geklagt.

Die Begründung der Richter: Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben - auch das des ungeborenen - zu schützen. Die Richter rügten auch das Beratungskonzept, da es keinen Auftrag enthielt, "die schwangere Frau zum Austragen des Kindes zu ermutigen".

Lehmann: "historische und wegweisende Entscheidung"

Empörung über das Urteil kam vor allem aus Ostdeutschland. Regine Hildebrandt (SPD), damalige Frauenministerin in Brandenburg, erklärte: "Für uns im Osten (...) ist es das i-Tüpfelchen." Zusätzlich zur Massenarbeitslosigkeit und massiven Benachteiligungen von Frauen werde nun auch noch der Schwangerschaftsabbruch erschwert. Zufrieden zeigte sich dagegen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann: "Das Urteil stellt eine historische und wegweisende Entscheidung dar", erklärte er.

So ging der Streit in eine neue Runde und mündete 1995 in das heute noch gültige "Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz". Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig; er bleibt jedoch straflos, wenn er in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Zudem muss die Frau sich mindestens drei Tage vorher beraten lassen. Die Beratung muss ergebnisoffen geführt werden, soll jedoch dem Schutz des Lebens dienen.

Fall der Mauer brachte Thema wieder auf

Seit 1871 stellte der Paragraf 218 Abtreibung unter strenge Zuchthaus-Strafe. 1926 wurde das Wort "Zuchthaus" durch "Gefängnis" ersetzt und der Schwangerschaftsabbruch bei Gesundheitsgefährdung der Mutter zugelassen. 1972 führte die DDR eine Fristenlösung ein. 1974 beschloss auch die Bonner sozial-liberale Koalition eine Fristenlösung, die eine legale Abtreibung während der ersten drei Schwangerschaftsmonate vorsah. Zuvor hatten 1971 im "Stern" veröffentlichte Bekenntnisse von 374 Frauen unter der Überschrift "Wir haben abgetrieben!" die Debatte angeheizt. 1975 allerdings erklärte Karlsruhe diese Reform für verfassungswidrig.

Ein Jahr später beschloss der Bundestag ein Gesetz, das den Schwangerschaftsabbruch zwar prinzipiell für strafbar erklärte, Fälle, in denen eine medizinische, kriminologische, soziale oder eugenische Indikation vorlag, aber ausnahm. Diese Regelung blieb umstritten: Ärzte legten die soziale Indikation zunehmend weiter aus, so dass bereits Arbeitslosigkeit als Begründung ausreichte. Der Fall der Mauer brachte das Thema dann erneut auf die Tagesordnung.

Abtreibungen gehen leicht zurück

Mit dem "Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz" von 1995 beruhigte sich die Lage. Die katholische Kirche allerdings fand sich nicht damit ab, die für eine Abtreibung notwendigen Beratungsscheine ausstellen zu müssen. Ende 1999 verkündeten die Bischöfe auf Verlangen des Papstes das Aus für die kirchliche Konfliktberatung im staatlichen System. Der von engagierten Katholiken gegründete Verein Donum Vitae setzt die Beratung allerdings fort.

Unterdessen ging die Zahl der Abtreibungen im Trend leicht zurück: 2016 wurde mit rund 98.700 Abtreibungen ein Tiefststand seit der Wiedervereinigung gemeldet, 2017 gab es allerdings erstmals wieder ein leichtes Plus von 2,8 Prozent.

Streit um Werbungsverbot

Zuletzt weckte der Streit um den Paragrafen 219a und die Werbung für Abtreibungen Erinnerungen an die alten Auseinandersetzungen. Er untersagt "das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen" von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht. Verschärft wird die Abtreibungs-Problematik durch immer weiter entwickelte vorgeburtliche Tests. So ist der sogenannte Pränatal-Test, bei dem bereits durch genetische Analyse im Blut von Schwangeren auf Chromosomenstörungen des ungeborenen Kindes geschlossen werden kann, seit 2012 verfügbar.


Weltweit umstritten: Abtreibung (dpa)
Weltweit umstritten: Abtreibung / ( dpa )
Quelle:
KNA