Kolping International fordert unangemeldete Kontrollen in Fabriken

Wenn die Menschenwürde verletzt wird

Zum Tag der Arbeit am 1. Mai weist Kolping International darauf hin, dass viele Arbeiter weltweit ausgebeutet werden. Zwar gebe es viele Regeln, um Arbeitnehmer zu schützen, so Generalsekretär Markus Demele. Aber die Umsetzung müsse kontrolliert werden.

In einer Textilfabrik in Bangladesch / © Nick Kaiser (dpa)
In einer Textilfabrik in Bangladesch / © Nick Kaiser ( dpa )

DOMRADIO.DE: Moderne Sklaverei: Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Markus Demele (Generalsekretär Kolping International): Ganz klassisch denkt man ja eigentlich an Afrikaner, die auf Plantagen arbeiten müssen, oder Menschen in Ketten. Und auch Franz Beckenbauer scheint solche Bilder im Kopf gehabt zu haben, denn er hat ja nach seinem Besuch auf den WM-Baustellen in Katar gesagt, er habe dort weit und breit keine Sklaven gesehen. 

Wenn man die Augen offen hält nach Menschen, die dort in Ketten sind und gepeitscht und geschlagen werden, dann sieht man auch keine Sklaverei. Moderne Sklaverei ist eine Form von Abhängigkeit, wo Menschen keine andere Möglichkeit haben, als zu den Bedingungen zu arbeiten, zu denen ein Arbeitgeber ihm die Arbeit anbietet. 

Ganz konkret gibt es da verschiedene Schattierungen. Es gibt Situationen, von denen berichtet wird aus Bangladesch und Indonesien zum Beispiel, in denen gerade Wanderarbeitern von Arbeitgebern die Pässe abgenommen werden und man keine Möglichkeit hat einen Arbeitsvertrag so einzuklagen, dass die Rechte, die das Land vorsieht, gewährt werden. Aber auch wenn alles juristisch seine Ordnung hat, einem der Pass nicht abgenommen wird: In dem Moment, in dem ein Mensch nicht die Wahl hat, den Job A oder den Job B oder C sogar Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, sondern seine Arbeitskraft verkaufen muss - zu welchen Bedingungen auch immer -, kann man von einer Form von Sklaverei sprechen. In dem Augenblick, in dem die Menschenwürde verletzt wird.

DOMRADIO.DE: Was steckt dahinter? Sind wir als Konsumenten schuld oder ist es eher mangelnder politischer Wille, etwas zu ändern?

Demele: Das ist kein Entweder-oder. Es gibt Produkte, bei denen man ganz sicher weiß: Zu diesem Preis können die Arbeitsbedingungen nicht den Standards menschenwürdiger Arbeit entsprochen haben. An einem T-Shirt für drei, vier, fünf Euro kann keine Arbeiterin und kein Arbeiter so viel verdient haben, dass man davon gut leben kann.

Es gibt mit Sicherheit so etwas wie eine Verantwortung der Konsumenten, die auch immer größer wird. Wir wissen darum bei Kakao, wir wissen darum bei Kaffee, wir wissen darum bei vielen anderen Gütern des täglichen Bedarfs, dass wir auf Fairtrade-Siegel achten sollten. Damit die Menschen wirklich faire Löhne bekommen und unter guten Bedingungen arbeiten. Aber das ist natürlich unglaublich schwierig. Versuchen Sie mal Schuhe zu kaufen, bei denen Sie sicher sein können, dass die Arbeiter nicht unter den Arbeitsbedingungen gelitten haben. Die Verantwortung des Konsumenten ist da, aber sie ist letztendlich nur begrenzt wahrnehmbar. Das heißt, es ist eine politische Frage.

DOMRADIO.DE: Eigentlich haben sich die UN-Mitgliedsstaaten längst geeinigt: Wir wollen menschenwürdige Arbeit auf der ganzen Welt. Das hilft aber offensichtlich nicht viel. Sie von Kolping International fordern effektivere Kontrollen. Wie soll das genau gehen?

Demele: Diese Kontrollen sind im Moment der Schlüssel. Wir haben eine Vielzahl von Regelwerken auf der internationalen Ebene, die dafür Sorge tragen sollen, dass wir menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle Männer und Frauen haben - auch für die Ärmsten der Armen. Da gibt es OECD-Richtlinien und UN-Normen - mit Sicherheit zehn verschiedene Regelwerke, in denen auf wunderbare Weise die Würde des Menschen beschrieben wird und wie die bei der Arbeit zu schützen ist. 

Wenn das aber vor Ort nicht umgesetzt wird, wenn es nicht tatsächlich Kontrolleure gibt, die in die Fabriken gehen in Afrika, Asien, Lateinamerika und unangemeldet kontrollieren, dann wird das alles immer nur auf dem Papier stehen bleiben. Wir machen uns - zusammen mit anderen Akteuren - vor allem bei der Internationalen Arbeitorganisation dafür stark, dass es solche Arbeitsinspektionen unangemeldet gibt, damit die Rechte durchgesetzt werden.

DOMRADIO.DE: Der Schutz der Arbeiter war schon zur Zeit der industriellen Revolution das zentrale Anliegen Ihres Verbandsgründers Adolf Kolping. Wie versuchen Sie das heute durchzusetzen?

Demele: Ich glaube, ganz in der Tradition von Adolf Kolping. Er hat auf Bildung gesetzt. Man kann sich das aus europäischer Perspektive teilweise nicht vorstellen, aber viele der Menschen, die nur von ihrer Hände Arbeit leben, wissen gar nicht, welche Rechte sie eigentlich haben. Das sie das Recht haben, eine Gewerkschaft zu bilden und Kollektivverhandlungen zu führen. Dass sie Recht auf Urlaub und Freizeit haben. Irgendwann nimmt man die Ausbeutungsstrukturen als selbstverständlich hin. Und da versuchen wir mit Bildungsmaßnahmen durch Kolpingsfamilien vor Ort zu schulen.

Aber auch die politische Lobbyarbeit spielt da eine ganz große Rolle. Einmal im Jahr tagt in Genf die Internationale Arbeitsorganisation. Neben Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Politikern dürfen auch zivilgesellschaftliche Organisationen an den Beratungen teilnehmen. Und Kolping als einer der größten Sozialverbände auf der Welt mit mittlerweile über 400.000 Mitglieder hat da eine starke Stimme und wir organisieren dort jedes Jahr mit anderen internationalen katholischen Akteuren Veranstaltungen, um auf gravierende Missstände hinzuweisen. Das ist natürlich ein mühsames Tun, aber wir glauben, das ist es auf jeden Fall wert.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR