Zahl der Organspenden fällt auf neuen Tiefststand

"Dramatische Situation"

Trotz aller Aufklärungs- und Werbekampagnen: Die Zahl der Organspender ist auf einen neuen Tiefststand gefallen. Transplantationsmediziner wollen vor allem die Krankenhäuser in die Verantwortung nehmen.

Autor/in:
Christoph Arens
Organspende (dpa)
Organspende / ( dpa )

Die Abwärtsspirale setzt sich fort. Trotz aller Aufklärungs- und Werbekampagnen von Politik, Medizin und Krankenkassen ist die Zahl der Organspenden in Deutschland 2017 auf einen neuen Tiefstwert gefallen. Bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation herrscht eine gewisse Ratlosigkeit. Für Patienten, die auf ein Organ warteten, sei dies "eine dramatische Situation", bilanziert der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Axel Rahmel. Der NRW-Landtag hat für Donnerstag eigens eine Aktuelle Stunde einberufen.

Mit 9,3 Spendern pro eine Million Einwohner rutscht die Bundesrepublik in Europa endgültig auf die untersten Tabellenränge. Die Deutschen profitieren davon, dass 2017 rund 200 zusätzliche Organe aus Belgien, den Niederlanden, Kroatien, Ungarn, Österreich und Slowenien importiert werden konnten.

Am Montag teilte die DSO offiziell mit, dass es bundesweit im vergangenen Jahr 797 Organspender gab, 60 weniger als im Jahr zuvor (2016: 857). Die Anzahl der gespendeten Organe sank um 9,5 Prozent auf 2.594 Organe (2016: 2.867).

Verheerende Zahlen

Für die Stiftung, die bundesweit für die Organisation der Organspende zuständig ist, sind das verheerende Zahlen - zumal viele Verantwortliche angesichts steigender Zustimmungsraten in Umfragen und einer größeren Verbreitung von Organspendeausweisen auf eine Trendwende spekulierten. Laut Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen 81 Prozent der Bundesbürger der Organspende positiv gegenüber. Die Zahl der Menschen, die eine Entscheidung zur Organspende dokumentiert haben, ist sogar von 22 Prozent 2012 auf 36 Prozent gestiegen.

Weithin werden für die seit Jahren zurückgehenden Zahlen mehrere Skandale an Transplantationszentren verantwortlich gemacht, die 2012 bekannt wurden. Doch Rahmel und weitere Experten verweisen darauf, dass der Rückgang schon vor dem Skandal einsetzte: Verantwortlich dafür seien vor allem "erhebliche Struktur-, Qualifikations- und Qualitätssicherungsdefizite im Transplantationsbereich".

Krankenhäuser als Nadelöhr

Als Nadelöhr sieht die DSO vor allem die Krankenhäuser. "Wenn dort nicht an die Organspende gedacht wird, dann passiert auch nichts", sagt Rahmel. So gebe es zwar mittlerweile mehr als 1.600 Transplantationsbeauftragte in den rund 1.300 potenziellen Entnahmekliniken. Sie seien aber teilweise für diese Aufgaben nicht freigestellt, kritisiert der DSO-Mediziner.

Außerdem offenbarten Umfragen unter Medizinern und Pflegepersonal "ein erhebliches Informationsdefizit", gepaart mit einer "relativ hohen Ablehnung der Transplantationsmedizin". Darüber hinaus führe der hohe wirtschaftliche und personelle Druck dazu, dass die Kliniken das Thema vernachlässigten.

Für diese Argumentation sprechen auch positive Entwicklungen in einigen Regionen: Entgegen dem Bundestrend wurden vor allem in Bayern (plus 18 Prozent) sowie in der Region Mitte, bestehend aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland (plus 12 Prozent), mehr Organspenden als im Vorjahr verzeichnet. In Bayern seien klare und verbindliche Regelung für die Freistellung der Transplantationsbeauftragten geschaffen worden, erklärt die DSO. Sie fordert zugleich eine bessere Zusammenarbeit aller medizinischen Fachrichtungen. Die Organspende müsse insbesondere bei der Behandlung am Lebensende eine stärkere Rolle spielen.

Katholische KIrche für freiwillige Entscheidung

Bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz stößt das allerdings auf Misstrauen: Die Transplantationsbeauftragten seien keine Werber, sondern dürften lediglich informieren, erklärt Vorstand Eugen Brysch.

Einen radikalen Kurswechsel forderte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. "Wir brauchen eine Widerspruchslösung. Die Organspende muss zum Regelfall werden. Wer nicht spenden will, muss vorher 'Nein' sagen", sagte der Bundestagsabgeordnete der Oldenburger "Nordwest-Zeitung". Diese Regelung wird schon seit Jahrzehnten diskutiert - und immer wieder verworfen, weil sie das Misstrauen in die Transplantationsmedizin noch erhöhen könnte. Auch für die katholische Kirche ist sie nicht akzeptabel: Nach ihrer Ansicht muss die Organspende eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben.


Quelle:
KNA