Am Flughafen Frankfurt leben rund 200 Obdachlose

Aus dem "Morgen" werden oft Jahre

Der Flughafen ist beliebt bei Wohnungslosen. In den Terminals ist es warm, es gibt Toiletten, reichlich Pfandflaschen und großzügige Fluggäste. Da ist es nicht leicht, die Menschen für ein Leben außerhalb der vermeintlichen Komfortzone zu bewegen.

Autor/in:
Carina Dobra
Ein Obdachloser schläft auf Stühlen / © Heike Lyding (epd)
Ein Obdachloser schläft auf Stühlen / © Heike Lyding ( epd )

Es mieft ein wenig im Zimmer von Chris. Nach Rauch und altem Schweiß. Sein Zimmer im Übergangswohnhaus der Diakonie im Frankfurter Bahnhofsviertel ist bescheiden eingerichtet. Bett, Tisch, Schrank – mehr braucht der gebürtige Bayer mit polnischen Wurzeln nicht. "Tschuldigung, ist nicht aufgeräumt", sagt Chris und lächelt etwas verschämt in die Richtung von Kristina Wessel.

Die Sozialarbeiterin hat den ehemaligen Obdachlosen weggeholt vom Flughafen und ihm das Zimmer im Übernachtungshaus der Diakonie besorgt. Derzeit seien rund 200 wohnungslose Menschen am Airport anzutreffen, berichtet Wessel, die seit gut einem Jahr im Rahmen eines Diakonie-Projekts am Flughafen Frankfurt arbeitet. Viele von ihnen seien tagsüber in der Stadt unterwegs und kämen abends zum Schlafen dorthin. 60 Wohnungslose lebten sogar dauerhaft auf dem Gelände.

Wohnungsloser oder Fluggast?

Am Flughafen fühlen sich die Obdachlosen sicherer als auf der Straße, können in der Menschenmenge untertauchen. Sogar Wessel kann die Wohnungslosen manchmal nicht von den Fluggästen unterscheiden. "Wenn da jemand auf einer Bank liegt und schläft, könnte das auch ein Fluggast sein, dessen Flieger Verspätung hatte."

Der 47-jährige Chris hat über drei Jahre im Flughafen gelebt. Tag und Nacht. Heute wirkt er zufrieden und fröhlich. Wenn er an sein früheres Leben zurückdenkt, ändert sich sein Gesichtsausdruck jedoch schlagartig. Seine freundlichen grünen Augen füllen sich mit Tränen.

Pfandflaschen sammeln am Flughafen

"Tschuldigung", sagt er leise und erzählt, wie ihn vor einigen Jahren seine Frau wegen eines anderen Mannes verlassen hat. Er habe damals in der Produktion gearbeitet und gut verdient. Nach der Trennung ging es bergab. Er zahlte seine Miete nicht mehr, flog aus der Wohnung, verlor seinen Führerschein, trank Alkohol.

Am Flughafen hat Chris bis zu zehn Euro pro Tag verdient. Wie die anderen Wohnungslosen hat er sich sein Geld hauptsächlich durch das Sammeln von Pfandflaschen verdient. Außerdem gebe es keine großzügigeren Menschen als Fluggäste in Urlaubslaune, sagt Wessel. Dass Fluggäste beleidigend oder aggressiv auf die Klienten reagieren, ist der jungen Sozialarbeiterin nicht bekannt. Viele seien einfach verwundert. Sie wüssten nicht, dass Obdachlose am Flughafen leben.

Viele wollen am Flughafen bleiben

Nach einem Jahr hatte Chris sogar ein Stück Privatsphäre im Flughafen. Er suchte sich eine einsame Ecke, um dort auf einer Bank zu schlafen. "Das war zwar nicht so schön wie hier", erzählt Chris und klopft lachend auf sein Bett, "aber immerhin".

Die verhältnismäßig gute Situation am Flughafen ist für Wessel ein Problem. Es sei schwer, die Menschen zu motivieren, den Flughafen zu verlassen. Zunächst begleitet sie ihre Klienten zu Ämtern, Beratungsstellen oder zum Arzt. Außerdem informiert die Sozialarbeiterin ihre Klienten über die Angebote der Diakonie und anderer Träger der Wohnungslosenhilfe. Dazu gehören unter anderem Tagestreffs, Notübernachtungen und Übergangswohnheime. "Anreize hier am Flughafen wären kontraproduktiv", erklärt sie.

"Morgen gehe ich hier weg"

Bei Chris hat alles geklappt. Er habe sich schnell helfen lassen und habe gut mitgearbeitet. "Sein Fall ist eine Erfolgsgeschichte", sagt Wessel und nickt ihrem Klienten zu. Aber nicht jeder lässt sich so schnell darauf ein. Hinzu kommt, dass die Sozialarbeiterin gar nicht die Zeit hat, mit allen zu reden. Sie brauche mindestens noch eine zweite, feste Sozialarbeiterin an ihrer Seite, sagt sie.

Chris ist dankbar, dass Kristina Wessel ihn vom Flughafen geholt hat. Ohne sie hätte er den Absprung nicht geschafft, erzählt er unter Tränen. "Ich hab immer gesagt: Morgen, morgen. Morgen gehe ich hier weg." Aus dem "Morgen" wurden Jahre. Jetzt hat er nicht nur ein Zimmer im Übergangswohnheim, sondern auch einen Job in Aussicht: als Küchenhilfe in einem Restaurant in Offenbach. Wenn er den Job bekommt, möchte er sich dort auch eine Wohnung suchen.


Quelle:
epd