Tag der Heimat: Was ist Heimat?

Die Sehnsucht bleibt

Am Samstag ist Tag der Heimat: Gedacht wird den deutschen Heimatvertrieben des zweiten Weltkriegs. Der Psychotherapeut Dr. Wolfgang Krüger hat zu dem Thema geforscht und ein Buch geschrieben über die Bedeutung von Heimat.

Heimat / © St.Q.
Heimat / © St.Q.

domradio.de: Über die Welt der Großeltern haben Sie unter anderem ein Buch geschrieben - sind Sie dabei auch mit Heimatvertrieben in Berührung gekommen?

Dr. Wolfgang Krüger (Psychotherapeut und Buchautor): Ich hab immer wieder vor Heimatvertriebenen Vorträge gehalten und mit ihnen Kurse gemacht. Dabei war ich immer sehr berührt, denn das ist ein sehr interessantes und brisantes Thema. Die Heimatvertriebenen durften ja lange Zeit nicht über ihre Vertreibung reden. Das war politisch ein schwieriges Thema, weil man bei dem Begriff „Heimat“ das Gefühl hatte, als wollte man dorthin zurück. Gleichzeitig war die Vertreibung ein unendliches Trauma, da diese Menschen nicht nur die den Ort verloren haben, an dem sie aufgewachsen sind, sondern sie haben auch die Wurzeln ihres Lebens verloren.

domradio.de: Was bedeutet das: seine Heimat zu verlieren?

Krüger: Die Vertriebenen haben von vier verschiedenen Traumen erzählt. Man verliert in dem Augenblick des Vertriebenwerdens den Ort, an dem man sich wohlfühlt. Man verliert aber gleichzeitig auch den materiellen Reichtum und alles, was man besessen hat. Man verliert die Bedeutung und das Ansehen, denn in der Heimat war man ja vernetzt, dort hatte man einen bestimmten Ruf. Vor allem wird man aber dort, wo man hinkommt, oft nicht willkommen geheißen. Man braucht ungefähr zwei bis drei Generationen, um das Gefühl zu bekommen an dem neuen Ort wirklich verwurzelt zu sein.

domradio.de: Kann man sich von diesem "Bruch" im Leben jemals wieder richtig erholen?

Krüger: Das ist schwierig. Wir erleben, dass ein Trauma des Vertriebenwordenseins im Leben fortwirkt. Solange man aktiv ist, merkt man das nicht. Aber wenn man zum Beispiel eine Trennung erlebt oder wenn man älter wird, dann wird das Trauma häufig wieder lebendig. Es ist trotzdem nicht unmöglich, es zu überwinden. Das kann erreicht werden, indem wir lernen, wieder neu eine Heimat zu finden.

domradio.de: Neue Wurzeln finden und sich eine neue Heimat schaffen ist also möglich und wird von vielen Menschen gelebt - aber bleibt da nicht eine Sehnsucht, die das Leben begleitet und gerade im Alter vielleicht wieder sehr groß wird?

Krüger: Es bleibt natürlich eine Sehnsucht. Wir wollen ja im Alter, wenn wir nicht mehr ganz so aktiv sind, eine Welt erleben, in der wir aufgehoben sind und in der wir nichts mehr machen müssen. Es gibt dazu ein ganz wunderbares Gedicht von Herman Hesse, in dem es heißt: "Wir sollen heiter Raum um Raum durschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen."

Hesse sagt, es gibt immer wieder neue Lebensstufen und es ist eine Herausforderung, dass ich mich im Leben so vernetzte und in Netzwerken lebe, dass ich das Gefühl habe, aufgehoben zu sein. Wir dürfen nicht immer den Blick auf das zurücksetzten, was wir verloren haben. Im Leben gibt es immer etwas zu gewinnen.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Quelle:
DR