Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung kritisiert Kirche

"Ich suche keinen Kampf mit der katholischen Kirche"

Betroffene in Missbrauchsfällen dürfen keine Bittstreller sein, fordert der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Der Fall der Regensburger Domspatzen 

Regensburger Domspatzen (Domspatzen)

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, dringt darauf, dass Opfern von Missbrauch zugehört wird. Außerdem müssten sie in Aufarbeitungsprozesse "transparent" einbezogen werden - "ganz gleich, ob es um eine Aufarbeitung von Taten im kirchlichen Kontext, beim Sport, in einer Schule oder bei einer Kinder- und Jugendfreizeit geht", betonte Rörig am Sonntag im Interview mit Spiegel Online.

"Betroffene dürfen keine Bittsteller sein", betonte Rörig. Die Opfer verdienten Respekt und hätten ein Recht darauf, dass die Einrichtung, in der sie den Missbrauch erlitten hätten, ihr Leid anerkenne. Der Beauftragte erklärte: "Missbrauch findet dort statt, wo es starke Macht- und Abhängigkeitsstrukturen gibt, wo Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Mitarbeitende fehlen, ebenso wie weiterreichende Präventionsmaßnahmen."

Enttäuscht von Müller

Anlass für das Interview war der Abschlussbericht zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandal bei dem berühmten Chor der Regensburger Domspatzen. Demnach wurden dort 547 Menschen seit 1945 "mit hoher Plausibilität" Opfer von Übergriffen, 67 Domspatzen sexuell missbraucht. Einschließlich der Dunkelziffer könnte die Gesamtzahl der Opfer bei etwa 700 liegen. 49 Täter wurden ermittelt.

Rörig sagte, er hätte sich gefreut, wenn Kardinal Gerhard Ludwig Müller als damaliger Bischof von Regensburg schon 2010 Betroffene eingeladen und ihnen zugehört hätte. "Vielleicht hätte dies eine Aufarbeitung auf Augenhöhe und unter Einbeziehung von Betroffenen viel früher möglich gemacht." Rörig betonte: "Ich suche keinen Kampf mit der katholischen Kirche oder mit Kardinal Müller."

Entschuldigung bleibt aus

Rörig hatte kürzlich gesagt, er hoffe, dass sich Müller bei den Opfern entschuldigen werde. Müller hatte daraufhin erklärt, er sehe keinen Anlass dafür, im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Übergriffe um Entschuldigung zu bitten. Er habe, nachdem 40 bis 50 Jahre nach den Untaten "nichts geschehen war", 2010 unmittelbar nach den ersten Meldungen über Übergriffe als damaliger Bischof den Aufarbeitungsprozess eingeleitet.

Müller hatte seinerseits Rörig aufgefordert, sich für "Falschaussagen und falsche Informationen, die verbreitet werden", bei ihm zu entschuldigen. Er weise den Vorwurf der Verschleppung zurück. Zudem habe er "Scham für das, was in der Kirche passiert ist", empfunden.

Trifft die Kirche eine Mitschuld?

Rörig sagte Spiegel Online, die Kirche habe "durch ihre damaligen Strukturen Missbrauch begünstigt und in ihren Reihen nicht konsequent genug verfolgt". Fast alle Betroffenen hätten berichtet, dass ihnen als Kinder nicht geglaubt und der Missbrauch vertuscht worden sei. Es habe niemanden gegeben, an den sie sich hätten wenden können.

In einem am Wochenende verbreiteten Hirtenwort sagte der aktuelle Bischofs von Regensburg, Rudolf Voderholzer, er könne nur in Demut um Entschuldigung bitten. Zu den Schilderungen der Opfer schreibt er: "All das macht mich zutiefst zerknirscht und erfüllt mich mit Scham."


Johannes-Wilhelm Rörig / © Michael Hanschke (dpa)
Johannes-Wilhelm Rörig / © Michael Hanschke ( dpa )
Quelle:
KNA