Wie gehen KZ-Überlebende mit ihrer Lagernummer um?

"Ich war dort"

In Auschwitz wurden Häftlinge auf eine Nummer reduziert, die sie auf dem Arm tätowiert tragen mussten. Es gibt Fälle, in denen Nachfahren von Überlebenden auch eine Ziffernfolge am Körper haben.

KZ Auschwitz-Birkenau  / © Daniel Naupold (dpa)
KZ Auschwitz-Birkenau / © Daniel Naupold ( dpa )

Nein, eine Narbe sei das nicht - sondern ein Orden. Das sagt Daniel Chanoch, ein KZ-Überlebender, in dem Film "Die Nummer, die ich trage" und meint die Häftlingsnummer, die ihm im Lager auf den Arm tätowiert wurde. Manche fragten sie, warum sie nicht zum Schönheitschirurgen gehe, sagt eine andere Überlebende, Zoka Levy. Soll heißen, warum sie sich die Tätowierung nicht entfernen lasse. Wozu, gibt sie zurück. Sie müsse sich keineswegs schämen - sondern die, die dies getan hätten.

Wenn die Rede auf die in den Arm tätowierte Nummer ehemaliger Lagerhäftlinge kommt, macht sich bei Nachgeborenen oft ein großes Unbehagen oder Scham breit - zumal in Deutschland. Anders gehen mitunter Angehörige von Überlebenden damit um: Es gibt Fälle, in denen sie sich die Nummer etwa ihres Vaters oder Großvaters in den Arm ritzen lassen, als Andenken oder Bekundung von Respekt. Auch sie kommen in dem israelischen Film "Die Nummer, die ich trage" vor - etwa Ayal Gelles und Hanna Rabinovitz. Diese sagt, die Nummer ihres Vaters sei in der Familie als Code für den Safe genutzt worden. Und auch: "Mein Vater wäre gegen das Tattoo gewesen."

Tätowierung von Nachgeborenen

Ende April, zum Holocaust-Gedenktag in Israel, erregte diese Geschichte in den sozialen Netzwerken Aufmerksamkeit: Ein Mann hatte sich aus Liebe zu seiner gestorbenen Großmutter, die in Auschwitz eingesperrt gewesen war, ihre KZ-Nummer tätowieren lassen. Der von seiner Cousine verbreitete Fall war mit einer Fotomontage versehen, die offenbar den Arm der Großmutter und den des Mannes zeigen sollte - darauf ist jeweils die Nummer A-12-897 zu sehen.

Allerdings stößt auch das Tätowieren von Nachgeborenen zuweilen auf Kritik. Die meisten Reaktionen in dem konkreten Fall seien sehr positiv gewesen, berichtet die Cousine des Mannes, Nadine Schnoor, in der "Rheinischen Post". "Es gibt aber natürlich auch einige negative Stimmen." Das habe weniger mit der Tätowieraktion zu tun, sondern mehr mit der Verbreitung der Geschichte: "Die werfen mir vor, mich über die NS-Zeit profilieren zu wollen."

"Das Schlimmste, was ich erlebt habe"

Die Häftlingsnummern seien zu einem Synonym der Entmenschlichung der Deportierten im Konzentrationslager geworden, heißt es bei der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Die Eingesperrten hätten zu jeder Zeit die Ziffernfolge parat haben müssen - auf Deutsch. Der Zweck: ein effektives "Management" durch die SS. Die Nummer sei anstelle eines Familiennamens genutzt worden, der Eindeutigkeit halber. Denn Namen hätten oft verschiedene Schreibweisen gehabt.

In Auschwitz hätten neue Häftlinge aufeinanderfolgende Nummern erhalten. Ein "A" vor einer Nummer bedeutete demnach "Jude". Nicht nur über die Internetseite der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau kann man bei der Suche nach einem ehemaligen Häftling eine Nummer eingeben. Das ist etwa auch für die Gedenkstätte Sachsenhausen nördlich von Berlin möglich. Wer dies tut, kann möglicherweise ein Stück weit die Ungeheuerlichkeit nachspüren, die dem Reduzieren eines Menschen auf eine Nummer innewohnt.

"Nicht das Schlimmste, was ich erlebt habe"

Alois Bauer, Leiter des Bistumsreferates Weltmission/Gerechtigkeit und Frieden in Mainz, organisiert Begegnungen mit Überlebenden in Zusammenarbeit mit dem Maximilian-Kolbe-Werk. Er hat festgestellt, dass Auschwitz-Überlebende unterschiedlich mit der Nummer auf dem Arm umgehen. Manch ein Überlebender trage diese Nummer, "zeigt sie nicht offensiv, aber ganz sachlich, wenn er gefragt wird". Andere zeigten beispielsweise bei Vorträgen immer wieder die Ziffernfolge und sagten: "Ich war nicht mehr dieser Mensch, sondern nur noch eine Nummer. Das ist der Beweis, ich war dort; was ich sage, ist wahr."

Bauer betont: "Ich kenne niemanden, der mit der Nummer prahlt. Vielleicht sind die Häftlingsnummern zum Beispiel durch Filme zu einem gewissen Mythos geworden." Für die meisten Überlebenden sei sie eben jener "Beweis dafür, dass sie dort waren und dass das, was sie erzählen, Realität ist." Viele betonten, dass sie sich das, worüber sie berichteten, nicht angelesen oder von anderen gehört hätten. "Sie sagen: Was ich erzähle, habe ich selbst erlebt - und es ist nicht das Schlimmste, was ich erlebt habe."


Jugendliche in der Gedenkstätte Ausschwitz / © Stiftung Erinnern möglich
Jugendliche in der Gedenkstätte Ausschwitz / © Stiftung Erinnern möglich
Quelle:
KNA