Thomas von Aquin

"Die Freiheit Gottes ist Grund der menschlichen Freiheit"

In Zeiten von Fake-News können wir einiges vom Philosophen und Theologen Thomas von Aquin lernen: Das sagt Dominikanerpater Carsten Barwasser und erklärt zum Gedenktag des Heiligen, warum der Gelehrte auch heute noch aktuell ist.

Der heilige Thomas von Aquin (KNA)
Der heilige Thomas von Aquin / ( KNA )

domradio.de: Warum hat Thomas von Aquin auch heute noch solch eine große Bedeutung, dass wir selbst 800 Jahre später noch über ihn reden?

Pater Carsten Barwasser (Dominikaner aus dem Heilig-Kreuz-Kloster Köln): Erst einmal muss man sagen, dass er eine große Bedeutung in seiner Zeit hatte. Als Theologe und Philosoph hat er es damals schon geschafft, das Wissen des christlichen und philosophischen Glaubens zusammenzubringen. Das 13. Jahrhundert ist für uns heute noch eines der bedeutenden Jahrhunderte. Es ist das Jahrhundert, in dem die Auseinandersetzung mit dem Islam, die ja heute noch sehr aktuell ist, sehr stark war. Interessant ist, dass diese Auseinandersetzung über die Philosophie geführt wurde. Und zwar über die des griechischen Philosophen Aristoteles. Diese Auseinandersetzung wurde von Albertus Magnus, der hier in Köln begraben ist, und der Lehrer von Thomas von Aquin war, geführt. Dieser Diskurs führte den christlichen Glauben und die Theologie schließlich in die Moderne. Es war eine Auseinandersetzung mit einem Denken, das ganz stark von der Erfahrung, dem Bewusstsein, der Person und des Subjekts des Menschen bestimmt war. Daran war Thomas von Aquin maßgeblich beteiligt und hat damit das westliche Denken bis heute geprägt.

domadio.de: Was haben wir konkret von ihm gelernt? Was wissen wir durch Thomas von Aquin?

Pater Barwasser: Thomas von Aquin hat gezeigt, dass der religiös-christliche Glaube der aristotelischen Philosophie, die von der Erfahrung und der materiellen Wirklichkeit kommt, nicht gegensätzlich gegenüber stehen muss. Dass auch die Freiheit Gottes und die Freiheit des Menschen kein Gegensatz ist, sondern ganz im Gegenteil: sich bedingt. Demnach ist die Freiheit Gottes Grund der menschlichen Freiheit. Das führt zu einem Subjektverständnis – also ein Verständnis vom Menschen als ein Wesen von Vernunft und Freiheit. Dieser Gedanke findet sich heute immer noch im europäisch-westlichen Verständnis. 

domradio.de: Wenn wir ins Lexikon schauen, finden wir unter dem Eintrag von "Thomas von Aquin" ganz schnell den Begriff  "Scholastik", denn Thomas von Aquin gilt als Vater dieser philosophisch-theologischen Denkrichtung. In der Übersetzung wird die Scholastik mit "Wissenschaft der Beweisführung" erklärt.Trifft es das?

Pater Barwasser: Scholastik ist in der Tat erst einmal eine Methode. Sie ist eine Methode des Unterrichts, der Schule und des Lernens, des Sich-Auseinandersetzens mit Autoritäten. Im christlichen Sinne ist das ein Sich-Auseinandersetzen mit der Heiligen Schrift. Scholastik ist also eine Methode des Fragens und des Argumentierens. Betrachtet man das Hauptwerk von Thomas von Aquin, die "Summa Theologiae", erkennt man eine feste Struktur der Frage des Artikels. Er stellt Thesen auf und führt Argumente an, auf die er antwortet. Was Thomas ausmacht ist, dass er sich mit seinen theologischen oder philosophischen Gegnern nicht dort auseinandersetzt, wo sie am schwächsten sind, sondern da, wo sie am stärksten sind. Thomas hatte ein unglaubliches Vertrauen in die Vernunft. Er war der Meinung, dass der Mensch in der Lage sei, sich auf die Wahrheit auszurichten und Wahrheit zu erkennen. Das ist etwas, das uns bis heute in den Debatten, die geführt werden, gut tut. 

domradio.de: Das ist ja gerade bei der Diskussion, die wir im Moment um Fake-News haben, hoch aktuell. Dennoch ist Thomas von Aquin nicht ganz unumstritten. Er hat zum Beispiel die Frau als "verhinderten Mann" gesehen. Wie ist das aufzufassen?

Pater Barwasser: Damit steht Thomas durchaus in der Tradition seiner Zeit. Man findet solche frauenfeindlichen Bemerkungen immer wieder in der Tradition der griechischen Philosophie und auch im Christentum. An diesem Punkt ist Thomas ein Kind seiner Zeit. Wenn man sich mit ihm auseinandersetzt, muss man sich bewusst sein, dass er ein Mann des 13. Jahrhunderts ist. Eine Auseinandersetzung mit Thomas kann nur eine kritische sein. Es kann nicht sein - wie es in der katholischen Kirche geschehen ist - dass Thomas Lehre zu einem Dogma erhoben und zu einem theologischen oder philosophischen System gemacht wird, das in sich geschlossen ist und von dem man nicht abweichen kann. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil war Thomas' Lehre vorgeschrieben, wenn es um die Neuscholastik ging. Diese Neuscholastik hat allerdings gar nicht so viel mit der originalen mittelalterlichen Scholastik zu tun. Es geht dabei eher darum, sich gegen das moderne Denken durch ein geschlossenes Systems zu wehren. Doch damit wurde Thomas' Lehre zu einer Ideologie hochstilisiert. Das muss man kritisch sehen. Man muss sich mit Thomas kritisch auseinandersetzen. Es gibt eine ganze Reihe von Positionen von ihm, die man heute nicht mehr so übernehmen kann.

domradio.de: Wenn die Grundlehre darin besteht, Menschen durch starke Argumente zu überzeugen, dann aber dogmatisch angeführt wird, dass es "gegen ihn keine Argumente gibt", klingt das nach einem Widerspruch. Wie beurteilen Sie das?

Pater Barwasser: Die Neuscholastik hatte mit Thomas eigentlich nicht so viel zu tun, wie behauptet wurde. Theologen wie der französische Dominikaner Marie-Dominique Chenu haben das bereits in den 30er und 40er- Jahren ganz konkret gesagt. Sie wurden dafür sogar vom Heiligen Offizium in Rom gemaßregelt. Sie haben ihre Positionen in den Hochschulen verloren und mussten ins Exil gehen, weil sie die Neuscholastik kritisiert haben.

domradio.de: Ohne Thomas von Aquin würden wir die Fronleichnamsprozession, wie wir sie jedes Jahr auch hier am Kölner Dom erleben, nicht feiern. Kann man das so sagen?

Pater Barwasser: Thomas hat die Texte für die Fronleichnamsprozession beziehungsweise für die Liturgie verfasst. Er ist jedoch nicht derjenige, der Fronleichnam "erfunden" hat. Er ist derjenige, der die theologischen Grundlagen für Fronleichnam als Fest der Präsenz von Christus in der Eucharistie entwickelt hat. Lieder wie "Tantum Ergo" sind von ihm geschrieben worden.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR