Frankreich ehrt Abbe Pierre zum zehnten Todestag

"Riese der Caritas"

Zu dessen zehntem Todestag am Sonntag hat Frankreich den "Vater der Obdachlosen", Abbe Pierre (1912-2007), geehrt. An mehrere Orten im Land fanden Veranstaltungen statt. 

Abbé Pierre (epd)
Abbé Pierre / ( epd )

An seinem Begräbnisort Esteville nördlich von Rouen fand ein Marsch vom Abbe-Pierre-Zentrum zum Dorffriedhof statt. Der Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, feierte am Nachmittag einen Gottesdienst in der Kirche von Esteville. Er bezeichnete Abbe Pierre als einen "Vagabunden der Liebe" und als "Riesen der Caritas".

In der Pariser Börse versammelten sich in seinem Namen Gewerkschafter, Wissenschaftler und Experten, um ein Wirtschafts- und Sozialprogramm auszuarbeiten, das die Präsidentschaftskandidaten "inspirieren" solle. Der scheidende sozialistische Staatspräsident Francois Hollande nannte Abbe Pierre einen "Widerständler, Bruder der Armen und Provokateur des Friedens".

Das "Abbe-Pierre-Gesetz"

Landesweit gab es zahlreiche Veranstaltungen im Geist von Abbe Pierre. Die von ihm gegründete Stiftung zur Arbeit für Wohnungslose forderte die Franzosen auf, nicht in ihren Anstrengungen für menschenwürdige Unterkünfte für alle nachzulassen. Unter anderem dem Engagement des "Vaters der Obdachlosen" ist zu verdanken, dass in Frankreich ein Gesetz erlassen wurde, wonach jeder das Recht auf eine Wohnung einklagen kann.

Der Kapuzinerpater Abbe Pierre war über viele Jahre in Umfragen der beliebteste Franzose, auch über seinen Tod hinaus. Die hagere Gestalt mit der Baskenmütze, weißem Vollbart, dicker Hornbrille und dem Stock kannte jeder Franzose. Im Winter 1953/54 startete über Radio Luxemburg einen Hilfsappell für Obdachlose. Der Aufruf löste eine beispiellose Spendenwelle aus.

Gründung der Emmaus-Gemeinschaft

Dem Hilfsappell folgte die Gründung der sogenannten Emmaus-Gemeinschaft. Sie hat zum Ziel, den Armen und Ausgestoßenen zu helfen. Die Organisation betreibt zahlreiche Unterkünfte für Obdachlose, sammelt Kleider und Rohstoffe zur Weiterverarbeitung und bietet Arbeitslosen dabei kleinere Beschäftigungen. Zudem setzt sich Emmaus für die Rechte von Einwanderern ein und hilft Familien in finanzieller Not.

Ihren Unterhalt erwirtschaften die Emmaus-Gemeinschaften beispielsweise mit Schrottverwertung oder dem Sammeln von Altkleidern. Ziel dabei ist auch, eine Wegwerfgesellschaft anzuprangern und für Umweltschutz zu werben. Mittlerweile ist Emmaus in mehr als 30 Ländern vertreten. Die Gemeinschaft organisiert in Entwicklungsländern Bildungsprojekte sowie Wasserversorgung für Bewohner und engagiert sich im Kampf gegen HIV/Aids.

Die Person: Abbe Pierre

Abbe Pierre kam am 5. August 1912 mit dem bürgerlichen Namen Henri Antoine Groues als Sohn eines Seidenfabrikanten in Lyon zur Welt. Als Kind erlebte er, wie sein wohlhabender Vater in der Freizeit Obdachlosen die Haare schnitt und sich um Essen und Kleidung für sie kümmerte. 1930 trat er in den Kapuzinerorden ein. Sein Erbe verteilte er an die Armen. Nach seiner Priesterweihe 1938 ging er während des Krieges in den Widerstand; aus dieser Zeit stammt sein Deckname Abbe Pierre; sein eigentlicher Ordensname lautete Frere Philippe. Bis 1951 war er Mitglied des französischen Parlaments.

In den 1960er Jahren warb Abbe Pierre um Verständnis für die Kriegsdienstverweigerer der Kolonialkriege, unterstützte Befreiungstheologen in Lateinamerika, kümmerte sich in Frankreich um Aids-Kranke - wobei er das kirchliche Kondom-Verbot ablehnte. Neben den Aktivitäten der Emmaus-Gemeinschaft setzt sich die 1988 gegründete Abbe-Pierre-Stiftung für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, die Renovierung heruntergekommener Wohnungen und Obdachlosenasyle ein. Jährlich veröffentlicht die Stiftung einen Bericht zur Lage der Obdachlosen in Frankreich.

Innerkirchlich stand Abbe Pierre häufig im Widerspruch zur Lehrmeinung. Er trat ein für die Aufhebung des Zölibats und für eine liberalere Haltung bei der Empfängnisverhütung. Schon früh forderte er eine gesellschaftliche Anerkennung für homosexuelle Paare. 


Quelle:
KNA