Warum Syrer nicht legal nach Deutschland reisen können

Familiennachzug fast unmöglich

Familiennachzug wird für syrische Geflüchtete immer schwerer, denn in der Regel bekommen sie in Deutschland kein Asyl. Aber selbst dann, wenn sie ihre Eltern oder Kinder nach Deutschland holen dürfen, scheitert oft das Vorhaben...

Mohammed, Basima und Aicha - syrische Flüchtlinge / © Elke Kleuren-Schryvers
Mohammed, Basima und Aicha - syrische Flüchtlinge / © Elke Kleuren-Schryvers

Mohammed, Basima und Aicha und sind Geschwister. Die beiden älteren studieren Pharmazie und Medizin, die 13-jährige Aicha geht zur Schule. Wie viele hunderttausend ihrer Landsleute sind die drei vor dem Bombardement auf Aleppo geflohen, sie leben jetzt am Niederrhein, besuchen Integrationskurse, lernen Deutsch und versuchen Teil dieser Gesellschaft zu werden. Was ihnen am meisten fehlt, ist ihre Mutter. Man konnte und wollte ihr die gefährliche Flucht nicht zumuten, wollte sie und noch eine weitere 16-jährige Schwester später nachholen.

Dabei sind die deutschen Gesetze für den Familienzuzug streng geworden. Laut Asylpaket II gilt für syrische Flüchtlinge grundsätzlich nur noch der subsidiäre Schutz, sie bekommen so leicht kein Asyl mehr nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Heißt, dass der andere Teil der Familie nicht legal nach Deutschland einreisen darf. Bislang hatten die Verwaltungsgerichte aber dennoch anders entschieden, bis Mittwoch dieser Woche.

Oberverwaltungsgericht bestätigt erstmals die Praxis der Asylbehörde

Strittig war, ob Kriegsflüchtlinge aus Syrien bei einer Rückkehr grundsätzlich mit politischer Verfolgung, Festnahme oder Folter rechnen müssen. Nur dann hätten sie Anspruch auf Asyl. In der Begründung der Richter des Oberverwaltungsgerichts Schleswig heißt es nun erstmals, dass es dafür keine Anhaltspunkte gebe. Was juristisch sauber sein mag, bedeutet für den Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ein großes Problem. Schon lange setzt er sich für den Familiennachzug bei Flüchtlingen ein. Am Mittwoch erklärt er auf dem Kölner Integrationsgipfel: "Ich glaube, das hilft, Sprengstoff zu vermeiden und sozialen Frieden herzustellen". Am Mittwochabend gibt es Applaus für die Worte des Kardinals.

"Er hat Recht", sagt auch Elke Kleuren-Schryvers. Die Ärztin ist Vorsitzende der Stiftung Aktion pro Humanität am Niederrhein: "Man muss sich vor Augen halten, wie traumatisiert die Menschen sind. Und wenn man nachfühlen kann, was familiäre Geborgenheit in solchen Situationen bewirken könnte, könnte man viel Aggression und Frustration abbauen". Seit dem vergangenen Jahr hat Elke Kleuren-Schryvers Kontakt zu drei jungen Syrern Mohammed, Basima und Aicha. Sie beschreibt, wie der Älteste, der kaum volljährig ist, die Figur des Familienoberhauptes ersetzen muss, wie schwer es den Dreien gefallen ist, ganz ohne ihre Mutter auszukommen und wie groß die Sorge davor ist, Mutter und die 16-jährige Schwester an das syrische Bombardement zu verlieren.

Syrien verhängt Ausreiseverbot

Dabei lief zuletzt alles gut. Engagierten Helfern war es gelungen, für die Familie den Asylstatus zu erreichen. Die Mutter und ihre jugendliche Tochter bekamen einen Termin und müssten nur zur nächsten erreichbaren deutschen Botschaft gelangen.

Wir erreichen die Mutter an ihrem Mobiltelefon in Aleppo, in ihrem zerstörten Haus. Warum sie nicht ausgereist sei, fragen wir sie auf französisch. Man lasse sie nicht, erklärt sie und ringt nach Worten. "Man verbietet allen Syrern auszureisen. Lange mussten wir auf diesen Termin warten, jetzt haben wir die Gelegenheit verpasst."

Dabei müsste die Frau mit ihrer Tochter dringend das Land verlassen. Zum einen, um zu dem anderen Teil der Familie am Niederrhein zu gelangen, aber hauptsächlich, um sich vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen. "Die Situation in unserer Stadt ist sehr, sehr schwierig", beschreibt sie die Lage. "Wir sind hier ohne Elektrizität, ohne Wasser…" Ihr Haus sei zerstört, es gebe so viele Tote. "Es gibt nur das Gebet an Gott", sagt die muslimische Gläubige, "man kann nur beten, um das ganze Unrecht zu beenden. Was soll ich sagen," fragt sie verzweifelt. "Der Krieg ist um uns herum. Immer Schüsse, überall sind Tote, die bleiben hier liegen. Die ganze Menschlichkeit ist dahin. Alles ist tot hier."

"Sturmgebet als letzter Ausweg"

Wie lange die Mutter mit ihrer Tochter noch vor der Brutalität des Krieges geschützt sein wird, weiß niemand. Die ehrenamtlichen Helfer am Niederrhein haben alles getan, was in ihrer Macht stand. Und so hilft wohl tatsächlich nur noch das Gebet. Elke Kleuren-Schryvers, die lange eng mit dem Cap-Anamur-Gründer Rupert Neudeck zusammenarbeitete,  hat mit anderen Unterstützern deswegen ein Friedensgebet ins Leben gerufen. An jedem Montag im Advent will man gemeinsam in Kevelaer und an verschiedenen Orten auf der Welt für die Familie und andere Flüchtlinge beten. Man wolle das versuchen, was Rupert Neudeck oft gelehrt hat, nämlich dass bei einer solchen Machtlosigkeit  nur noch das "Sturmgebet" hilft.


Quelle:
DR