Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Carolin Emcke

"Weil es sagbar ist"

Terror und Gewalt sind aktueller denn je. Es sind auch die Themen von Carolin Emcke, die an diesem Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt.

Autor/in:
Leticia Witte
Die Publizistin und Philosophin Carolin Emcke  / © Arne Dedert (dpa)
Die Publizistin und Philosophin Carolin Emcke / © Arne Dedert ( dpa )

"Weil es sagbar ist" lautet der Titel eines Buches von Carolin Emcke. Diese Worte könnten auch über dem Schaffen der Journalistin und Publizistin stehen. Sie reist für ihre Reportagen dahin, wo Menschen Gewalt erfahren; sie setzt sich Leid aus, das viele andere Menschen unbeschreiblich nennen würden. In Afghanistan oder im Kosovo, in Kolumbien oder im Nahen Osten.

Aber das vermeintlich Unbeschreibliche ist nach Überzeugung Emckes eben doch sagbar. Und es ist nötig, davon zu erzählen - "für die Opfer von Gewalt ebenso wie für die Gemeinschaft, in der wir leben wollen", wie der Verlag zu ihrem Buch schreibt. Für ihr Werk und ihre Haltung wird Emcke an diesem Sonntag zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt. In den vergangenen Tagen hatte sie sich mehrfach besorgt über wachsenden Hass gegen Minderheiten in Deutschland gezeigt. Kürzlich erschien ihr Essay "Gegen den Hass".

Vorbild für gesellschaftliches Handeln

Ein junger Mann, der seit Jahren im Gazastreifen festsitzt und nicht zu Mutter und Schwestern im Westjordanland kann. Ein Anwalt, der unter großen Schwierigkeiten Guantanamo-Häftlinge vertritt. Menschen inmitten von Trümmern nach dem schweren Erdbeben in Haiti. Aber auch die Flüchtlinge hierzulande beschäftigen Emcke - über Monate hat sie Menschen in einer Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt begleitet.

Die Arbeit der 49-Jährigen sei Vorbild für gesellschaftliches Handeln "in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen", heißt es in der Begründung für den Preis, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Juni bekanntgab. Emcke leiste "mit ihren Büchern, Artikeln und Reden einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden".

Ihre Aufmerksamkeit gelte besonders jenen Momenten, Situationen und Themen, "in denen das Gespräch abzubrechen droht, ja nicht mehr möglich erscheint". Sie setze sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibe - vor allem in ihren Essays und Berichten aus Kriegsgebieten - "auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können".

Unterwegs in zahlreichen Krisengebieten

Krieg, Terror, Folter - Emcke war für den "Spiegel" und die "Zeit" in zahlreichen Krisengebieten unterwegs. Ihre Art des Vorgehens und Schreibens nennt der Börsenverein "analytische Empathie". Ihr Journalistenkollege Heribert Prantl sprach einmal von "einer gedanklichen und sprachlichen Präzision, die ihresgleichen sucht, und einem intellektuellen Mut, der bewundernswert ist".

Emcke gibt denjenigen, die zu verstummen drohen, eine Stimme und fragt, warum Gewalt Betroffene oft verstummen lässt. Sie selber konnte erst vor ein paar Jahren darüber schreiben, dass das RAF-Opfer Alfred Herrhausen ihr Patenonkel war. Über den Mord, die folgenden Tage, ihre Trauer und die vehemente Forderung danach, dass sich die Täter erklären, hat Emcke einen sehr persönlichen und bewegenden Text verfasst. Dafür erhielt sie den renommierten Theodor-Wolff-Preis.

"Wie lange braucht es, um zu begreifen, dass ein Freund ermordet worden ist? Wie lange braucht es, um zu verstehen, dass es keinen Abschied gab?", fragt sie darin. Der heutige Leser denkt bei diesen Zeilen an die Hinterbliebenen von Terroropfern. Auch Emcke hat jemanden bei einem Terrorakt verloren - hier in Deutschland.

Facetten des Begehrens

Auf einem ganz anderen Feld bewegt sich dagegen der Band "Wie wir begehren" von 2012. Darin fragt Emcke, die auch an der Yale University unter anderem über "Theorien der Gewalt" lehrte, nach Identitäten und den Facetten des (homo-)sexuellen Begehrens. In dem Buch geht es zugleich um die "gesellschaftliche Ausgrenzung dessen, der sein Begehren nicht artikulieren kann".

Den mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreis erhält die in Mülheim an der Ruhr geborene und in Berlin lebende Emcke nun in der Frankfurter Paulskirche. Im vergangenen Jahr stand an derselben Stelle der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani als Vermittler zwischen den Erfahrungswelten von Menschen unterschiedlichster nationaler und religiöser Herkunft.


Quelle:
KNA