Katholische Frauen zur Silvester-Bilanz des BKA

"Nicht entmutigen lassen"

Kaum aussagekräftige Täterbeschreibungen, Dunkelheit, Chaos und ein veraltetes Sexualstrafrecht: alles Gründe, warum nur wenige Täter aus der Kölner Silvesternacht belangt werden können. Die kfd sieht im neuen Strafrecht eine Chance.

Polizisten rund um Dom und Hauptbahnhof / © Maja Hitij (dpa)
Polizisten rund um Dom und Hauptbahnhof / © Maja Hitij ( dpa )

domradio.de: Von den geschätzten etwa 2.000 Tätern konnte man nur 120 potentielle Tatverdächtige ermitteln. Sind Sie überrascht von dieser Tatsache?

Dr. Heide Mertens (Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands): Nein, eigentlich nicht. Denn es war ja offensichtlich, dass die Situation in der Silvesternacht sehr unübersichtlich war, dass die Polizei das nicht alles unter Kontrolle hatte. Und man kann sich ja gut vorstellen, dass die Frauen, die belästigt wurden, erstmal erschreckt waren, sich geschützt haben, wahrscheinlich weggegangen sind und erst später Anzeige erstattet haben. Und so ist es ja nicht verwunderlich, dass es schwierig ist, die Täter eindeutig zu identifizieren.

domradio.de: Der BKA-Präsident nennt es ein Problem, dass es von den betroffenen Frauen kaum aussagekräftige Beschreibungen der Täter gebe. Es war vermutlich auch schwierig in der Dunkelheit und dem Chaos – heißt das jetzt, es gibt keine weiteren Chancen auf das Dingfestmachen von Tätern?

Mertens: Da muss man wahrscheinlich von ausgehen. Und es ist ja auch so, dass zu dem Zeitpunkt, als das stattgefunden hat, vieles, was da passiert ist, in Deutschland gar nicht strafbar war.

domradio.de: Zum Beispiel?

Mertens: Eine sexuelle Belästigung, eine unsittliche Berührung, ist bis letzte Woche keine Straftat in diesem Sinne gewesen. Es war ja bisher auch nicht möglich gewesen in Deutschland, Menschen anzuzeigen, die in Kneipen, Diskos, auf der Straße, in engen Straßenbahnen andere unsittlich berührt haben. Mit der Anzeige dieser Taten hatte bislang niemand Erfolg. Das ist jetzt durch das Sexualstrafrecht geändert worden, Anlass waren unter anderem die Vorfälle zu Silvester in Köln. Und das heißt, wir haben jetzt eine klare rechtliche Aussage: Das ist eine Straftat. Das ist neu und daram müssen wir uns gesellschaftlich gewöhnen, das muss durchgesetzt werden. Das muss sich in den Köpfen festsetzen und in den Handlungen. Und die Hoffnung besteht ja, dass sich dadurch was ändert...

domradio.de: Mit diesem neuen Sexualstrafrecht, das der Bundestag kürzlich beschlossen hat, kann es leichter werden, Täter dingfest zu machen?

Mertens: Das ist mit Sicherheit so, wobei immer noch, und das ist gut so, die Maßgaben unseres Rechtssystems gelten: Man muss schon nachweisen können, dass das passiert ist und Täter identifiziert werden können. Ob das im Nachhinein möglich ist, gerade in solchen Situationen, bei denen es um Menschenmengen geht, muss man sehen, wie das gehen kann. Für die Frauen ist das ein furchtbares Erlebnis, und eine Anzeige nach so einer Situation zu erstatten ist ein großer Schritt. Da muss man sehen, ob das überhaupt gehen kann. Ich denke, das deutliche Zeichen, was jetzt gesetzt worden ist, ist erst einmal ein politisches Zeichen. Nämlich: Das geht nicht, das ist in keiner Situation, unter keinen Umständen, von niemandem tolerabel und das hilft ja manchmal schon.

domradio.de: Das neue Sexualstrafrecht ist das eine, was vielleicht ein Licht in die Sache bringt. Andererseits sind die wenigen ermittelten potentiellen Tatverdächtigen etwas ernüchternd, so dass Frauen den Eindruck bekommen, eine Anzeige sei zwecklos.

Mertens: Naja, nun hat sich seit Silvester ja etwas geändert im Strafrecht. Von daher wäre es eine Ermutigung zu sagen: "Lieber gleich zur Polizei gehen". Von daher hoffe ich, dass sie sich nicht entmutigen lassen. Andererseits können die Strafermittlungsbehörden zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht mehr tun.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Dr. Heide Mertens / © kfd/Andreas Varnhorn
Dr. Heide Mertens / © kfd/Andreas Varnhorn
Quelle:
DR