Neue Studie über kirchliche Missbrauchstäter und ihre Opfer

Gestörte Täter - verstörte Opfer

In aufwendigen Studien untersuchen seit 2015 Wissenschaftler den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. Jetzt gibt es erste Ergebnisse. Bischof Ackermann betont: Anhaltspunkte für die massenhafte Vernichtung von Akten gebe es nicht.

Missbrauch - ein dunkles Thema / © Friso Gentsch (dpa)
Missbrauch - ein dunkles Thema / © Friso Gentsch ( dpa )

Eines machen die Wissenschaftler von Anfang an klar: Eine umfassende und strengen wissenschaftlichen Standards genügende quantitative Vollerhebung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche sei nicht möglich. Der Hauptgrund: sowohl die kirchlichen Personalakten als auch die Strafrechtsakten könnten nur einen Bruchteil der tatsächlich begangenen Delikte abbilden.

Studienauftrag der Deutschen Bischofskonferenz

Trotzdem will das Forscherkonsortium, das die Deutsche Bischofskonferenz mit der Untersuchung von sexuellem Missbrauch durch Geistliche beauftragt hat, ein möglichst umfängliches Bild abliefern. So soll es Kennzahlen zum quantitativen Umfang geben, und das Projekt soll Strukturen aufzeigen, die Taten begünstigen können. Die Wissenschaftler um den Mannheimer Psychiater Harald Dreßing wählten für das Forschungsprojekt einen Ansatz, der in dieser Form bislang einmalig ist, wie Dreßing bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse einer Teilstudie am Montag betonte.

Denn neben Psychologen sind auch Juristen, Kriminologen und Gerontologen beteiligt. Außerdem arbeiten die Wissenschaftler interdisziplinär. So nehmen sie sich neben den Personalakten auch Strafakten vor und führen Interviews mit Opfern, Tätern und Kirchenverantwortlichen. Um weitere Stimmen von Betroffenen zu bekommen, starten sie im Juli außerdem eine umfassende Online-Umfrage. Darüber hinaus werten sie internationale Untersuchungen aus, die sich in verschiedenen Ländern bereits mit dem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen innerhalb kirchlicher Institutionen befasst haben. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen vergleichen sie schließlich mit Studien über nicht-kirchliche Einrichtungen.

Hoher Anteil männlicher Opfer

Jetzt gibt es erste Ergebnisse dieser Teilstudie über bereits vorhandene Veröffentlichungen. Diese hatten unter anderem die Situation in Deutschland, in anderen westeuropäischen Ländern sowie in den USA, in Kanada und in Australien untersucht: Danach ist der Anteil der männlichen Opfer in der katholischen Kirche mit 78,6 Prozent deutlich höher als in anderen Institutionen (45,6 Prozent).

Die Täter sind in erster Linie Gemeindepfarrer und andere Priester (über 80 Prozent). Bei 29,6 Prozent der Täter wurde eine emotionale oder sexuelle Unreife festgestellt, bei 21 Prozent eine Persönlichkeitsstörung und bei 17,7 Prozent Merkmale von Pädophilie. Alkoholabhängig waren 13,1 Prozent der Täter.

Insgesamt haben die Wissenschaftler in allen Studien 14.588 Taten untersucht. Bei 82,9 Prozent dieser Taten gab es direkten Körperkontakt zwischen Opfer und Täter. Dabei war das Anfassen, ohne das Opfer zu entkleiden, mit 22,8 Prozent die häufigste Tathandlung. Bei 20,5 Prozent der Taten berichteten die Opfer von einem Anfassen unter der Kleidung. Die dritthäufigste Tathandlung war danach mit 17,2 Prozent die vaginale oder anale Penetration.

Schwerwiegende Folgen für die Opfer

Für die Missbrauchsopfer haben die Übergriffe oft schwerwiegende Folgen: Sie leiden häufig an psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen (64,2 Prozent), gefolgt von verhaltensrelevanten Folgen wie einem sozialen Rückzug (23,2 Prozent) und körperlichen Folgen wie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen (12,6 Prozent).

Die gesamte Studie, die nach einem ersten gescheiterten Anlauf 2014 gestartet wurde, soll Ende 2017 abgeschlossen sein. Die Zusammenarbeit mit den deutschen Bistümern sei "eigentlich gut", so Dreßing. Es werde noch "viel zu publizieren geben", versprach er. Wegen der Datenlage, des Datenschutzes und der anonymen Vorgehensweise werde aber nicht aus der Studie hervorgehen, in welchen Bistümern Missbrauch zu welchen Zeiten besonders häufig war.

Ackermann: Keine massenhafte Vernichtung von Akten

In einer Sache ist sich Bischof Stephan Ackermann sicher: "Es gibt keine Anhaltspunkte für die massenhafte Vernichtung von Akten von Missbrauchsfällen". Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz zur Aufklärung des sexuellen Missbrauch wies eigens darauf hin, dass in den katholischen Bistümern allerdings im Rückblick auf die letzten Jahrzehnte oft keine professionelle Aktenablage im heutigen Sinne gebe. Das eigentliche Problem sei, dass es bisweilen über betreffende Missbrauchsfälle zu wenig Akten gebe und die betreffenden Vermerke an sehr unterschiedlichen Stellen erfolgt seien. Zudem habe es keine bundesweit einheitlichen Standards gegeben.

Wegen des ungewöhnlichen Forschungsansatzes gebe es bereits jetzt viele Anfragen aus dem Ausland zu dem Projekt, so Dreßing. Damit könnte die deutsche Studie nach der 2002 erstmals veröffentlichten Studie des New Yorker "John Jay College of Criminal Justice" ebenfalls international Maßstäbe setzen. Und die Forscher betonen, ein besonderer Schwerpunkt werde dann auch bei den Konsequenzen liegen, die sich aus den neuen Erkenntnissen etwa für die Priesterausbildung ergeben.

Als erste große Institution hatte die katholische Kirche in Deutschland bereits 2010 ein Konzept zur Entschädigung der Opfer von sexuellem Missbrauch vorgelegt. Demnach erhalten Betroffene, die durch Priester oder andere Mitarbeiter der katholischen Kirche missbraucht wurden, jeweils bis zu 5.000 Euro. In begründeten Einzelfällen werden auch höhere Summen gezahlt.


Quelle:
KNA , DR