Theologischer Zoologe fordert Systemwandel beim Kükenschreddern

Billig-Eier zu kaufen ist unchristlich

Am Freitag entscheidet das Oberverwaltungsgericht Münster, ob männliche Küken in der Zucht von Legehennen getötet werden dürfen. Unabhänig davon appelliert Dr. Rainer Hagencord im domradio.de-Interview an Verbraucher und die Politik.

Männliche Küken werden meist zu Tierfutter verarbeitet / © Peter Endig (dpa)
Männliche Küken werden meist zu Tierfutter verarbeitet / © Peter Endig ( dpa )

domradio.de: Warum interessieren sich die Menschen jetzt erst seit kürzerer Zeit für das Kükenschreddern?

Dr. Rainer Hagencord (Institut für theologische Zoologie in Münster): Das Gericht hat ja schon vor einigen Wochen anerkannt, dass es einen Bewusstseinswandel gibt. Das große Wort taucht also auf: Bewusstseinswandel. Tatsächlich sind diese Praktiken seit Jahren Gang und Gäbe. Aber seit den letzten Jahren tut sich etwas. Das Gericht hat allerdings auch gesagt, dass ein Bewusstseinswandel ja nicht maßgeblich für einen juristischen Wechsel sein kann. Das eine würde ich als positiv beschreiben. Wir sind ja auch nicht bloß bei den Küken sensibel, auch beim Milchvieh. Wir sind bei den Schweinen sensibel, die in Schlachtvorgängen teilweise lebend in heißes Wasser wandern - auch da gibt es juristische Fortschritte gegen diese Praktiken. Aber dennoch - es bleibt das System. Das ist der Punkt, an dem ich so hänge: Wie lange wollen wir noch das System stützen? Also ein System, bei dem nicht das Wohl der Tiere maßgeblich ist, sondern Profitmaximierung. Also die Tiere werden an ein System angepasst und nicht umgekehrt. Das System steht infrage.

domradio.de: Aber trotz allem Bewusstseinswandel – wir wollen nicht, dass Küken geschreddert werden, kaufen aber die billigen Eier. Ist das nicht schizophren?

Hagencord: Das ist wirklich eine Schizophrenie. Es gab ja auch vor einigen Wochen von Greenpeace eine Umfrage zu dem Thema. Da sagen tatsächlich dieselben Leute vor dem Supermarkt, dass sie selbstverständlich gerne bereit sind, mehr Geld auszugeben, wenn sie wissen, dass es den Tieren - Rindern, Schweinen, Hühnern - gut geht. Dieselben sagen aber dann nach ihrem Einkauf: Oh, da habe ich aber doch wieder Putenschnitzel für 69 Cent gekauft. Also das sind die einen Mitspieler, die Verbraucher. Die anderen Mitspieler sind diejenigen, die in den Betrieben arbeiten müssen. Wenn man sich das mal vorstellt, in so einem Betrieb arbeiten zu müssen, dann kann man auch nicht von würdigen Arbeitsplätzen reden. Das dritte ist die Politik. Und das vierte ist jetzt tatsächlich die gesetzgeberische Seite. Und darum finde ich es jetzt ganz gut von diesen verschiedenen Positionen aus, das System insgesamt einmal in Frage zu stellen und auch notwenige Weichenstellungen einzuleiten.

domradio.de: Ist das Kükenschreddern nicht einfach eine wirtschaftliche Notwendigkeit?

Hagencord: Es gibt Alternativen. Das eine Argument, das auch der Landwirtschaftsminister sagt, ist ja Gang und Gäbe: Wenn wir das jetzt nicht mehr machen, wandern die entsprechenden Firmen ins Ausland aus, das stimmt. Aber es könnte ja auch ein CSU-Politiker hingehen und sagen, wir wollen in Deutschland andere Tierhaltung und wir gehen jetzt mit anderen Methoden voran. Das System also von dieser Seite her aufzubrechen, das könnte ich mir von einer Cristlich Sozialen Union bzw. christlichen Politikern vorstellen. Deutschland würde Vorreiter und schafft diese unerträglichen Zustände ab. 

domradio.de: Wie sieht das denn theologisch aus? Wir zerstören ja auch einen Teil der Schöpfung dadurch?

Hagencord: Ich zitiere gerne aus der Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus: "Die Tiere haben einen Eigenwert. Die Tiere sind nicht unseretwillen da." Lassen Sie sich dieses päpstliche Zitat auf der Zunge zergehen. Das gilt nicht nur für den Pudel und die Katze oder das nette Kaninchen, das gilt für jede Pute und jedes Huhn. Die sind nicht für uns da. Aber wir leben in einem System, in dem man diese Tiere zu Rohstoffen degradiert. Da muss man als christlicher Politiker oder christlich suchender Mensch deutlich sagen: So geht es nicht.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR