Bundesverfassungsgericht entscheidet über Abstammungsklärung

Wer bin ich?

Wer ist mein Vater, und wer ist meine Mutter? Diese Frage bewegt jeden Menschen, ist aber nicht bei jedem Kind klar zu beantworten. Das Bundesverfassungsgericht urteilte jetzt: Das Recht, die eigene Abstammung zu kennen, ist nicht absolut.

Autor/in:
Michael Jacquemain
Bundesverfassungsgericht sagt "Nein" zu Abstammungserklärung / © Uli Deck (dpa)
Bundesverfassungsgericht sagt "Nein" zu Abstammungserklärung / © Uli Deck ( dpa )

Die Frage nach der eigenen Herkunft gehört zu den existenziellen Fragen des Menschen. Jeder will wissen: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Insofern war es ein philosophisch-ethisches Problem, über das der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag entschied.

Eine Frau, inzwischen im Rentenalter, treibt bis heute die Frage um, ob ein knapp 90-Jähriger ihr leiblicher Vater ist. Sie will ihn zu einem DNA-Test zwingen. "Nein" sagt dazu der Senat unter Leitung des Vizepräsidenten des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, und verweist auf widerstreitende Interessen.

Mehrere Betroffene

Der Anspruch der Frau steht prinzipiell außer Frage, doch auch andere sind betroffen: Vor allem der Mann, dessen Vaterschaft gegen seinen Willen aufgeklärt werden soll. Bei ihm sieht der Senat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf körperliche Unversehrtheit betroffen. Betroffen ist zudem die Mutter, die selbst entscheiden kann, ob und wen sie über ihr Geschlechtsleben informiert.

Und betroffen sind zwei Familien: Etwa der rechtliche Vater des Kindes. In dessen Selbstverständnis kann die Annahme, biologischer Vater eines Kindes zu sein, "eine Schlüsselstellung einnehmen", so der Senat. Beeinträchtigt wird auch die Familie des Mannes, der die DNA-Probe abgeben soll. Ein positiver Test könnte sich "als Belastung erweisen". Alle diese Gesichtspunkte werden genannt. In der Summe können diese Erwägungen als Stärkung rechtlicher Familien verstanden werden.

Gericht warnt vor Untersuchung "ins Blaue hinein"

Nach geltender Rechtslage haben nur der Vater, die Mutter und das Kind einer rechtlichen Familie gegeneinander einen Anspruch auf einen DNA-Test. Ein außerhalb der rechtlichen Familie vermuteter Erzeuger ist ausdrücklich ausgeschlossen. Das Gericht warnte davor, Untersuchungen "ins Blaue hinein" möglich zu machen. Die Klärung weiterer Fragen zur Abstammung überlässt der Senat weitestgehend dem Gesetzgeber.

Der Blick geht deshalb nach Berlin. Dort befasst sich im Haus von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine "Arbeitsgruppe Abstammung" mit solchen Fragen. Wie Maas' Staatssekretärin Stefanie Hubig nach der Entscheidung sagte, geht es um "schwierige Abwägungsfragen", die bis Mitte 2017 geklärt werden sollen.

"Schwerer Rückschlag"

Vor allem Fälle "multipler Elternschaft", wie sie als Ergebnis der Reproduktionsmedizin heute immer häufiger vorkommen, dürften den Juristen Kopfschmerzen bereiten. Im Verhältnis dazu war der jetzt verhandelte Fall fast einfach. Trotzdem ist selbst der vielleicht noch nicht zu Ende.

Der Rechtsanwalt der Klägerin, Paul Kreierhoff, kündigte an, nach sorgfältiger Prüfung des Urteils zu entscheiden, ob seine Mandantin vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen und gegen den "schweren Rückschlag" vorgehen will. Dass das Interesse der Frau nachvollziehbar ist, hatten bei der Verhandlung im November Vertreter von Psychologen- und Therapeutenverbänden deutlich gemacht. Für ein Kind sei die Kenntnis über die eigene Abstammung schlichtweg eine existenzielle Frage.


Quelle:
KNA